Julia Extra Band 0198
eindringlich an. “Kein Mensch sollte so ein Schuldgefühl mit sich herumtragen.”
Das war es, was Ryan so beschäftigte? Darauf wäre sie nie gekommen. “Aber er hat den Anfall in jener Nacht bekommen, als ich …”
Ryan fuhr sich mit der Hand durch das Haar. “Ich habe einen Freund von mir angerufen. Er ist Arzt. Er sagt, das sei ganz unmöglich. Dein Vater muss vorher schon ein schwaches Herz gehabt haben. Allein durch die Aufregung, dass du dich aus dem Haus geschlichen hast, kann so ein Anfall nicht ausgelöst werden. Er muss schon vorher Probleme gehabt haben.” Dann grinste Ryan plötzlich. “Mein Freund sagt, so was passiert nur im Fernsehen.”
Ryan ist tatsächlich so besorgt gewesen, dass er sich sogar die Mühe gemacht hat, einen Freund deswegen anzurufen? wunderte sie sich.
“Ich möchte nicht, dass du eine solche Schuld dein Leben lang mit dir herumträgst”, sagte Ryan leise. “Sicher, es war vielleicht keine gute Idee, sich aus dem Haus zu stehlen, und der Streit mit deinem Vater kann unmöglich angenehm gewesen sein, aber so etwas reicht nicht aus, um einen Infarkt auszulösen.” Er strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. “Es ist wichtig für mich, dass du das weißt.”
Warum, fragte sie sich. Warum ist es so wichtig für ihn? Aber sie war tief bewegt, dass er ihr dieses Schuldgefühl nehmen wollte. Dieses schreckliche Gefühl hatte sie ihr Leben lang verfolgt. Würde es ihr überhaupt möglich sein, darüber hinwegzukommen?
Sein Daumen berührte aus Versehen ihre Wange, und sie spürte den elektrischen Stromschlag durch ihren ganzen Körper hindurchfahren. Oh, warum nur hatte sie solch tiefe Gefühle für ihn entwickelt? Seine Nähe zu spüren, seine Berührung zu fühlen, war eine Qual für sie. Alles in ihr drängte sie, sich in seine Arme zu schmiegen, doch das durfte sie nicht. Auf keinen Fall.
“Und dann ist da noch etwas …”
Seine tiefe, samtene Stimme sandte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie schaute in sein Gesicht, auf das das Mondlicht silberne Schatten warf. “Ja?”, fragte sie bang.
“An dem Abend”, er räusperte sich, “da … da sind uns die Dinge aus der Hand geglitten.”
Das Blut schoss ihr mit einem Mal in die Wangen, und abrupt drehte sie sich weg. “Darüber müssen wir nicht reden, Ryan. Es ist nun mal passiert, aber es wird nicht wieder vorkommen.”
Er legte seine Hand auf ihre Schulter und drückte sie leicht. “Ich hatte befürchtet, dass du das sagen würdest.”
Tiefe Enttäuschung lag in seiner Stimme, und erstaunt wirbelte sie wieder herum, um ihn anzusehen.
“Ich habe einen Fehler gemacht, Julia. Kannst du mir verzeihen?”
“Ryan, ich …”
“Nein, bitte. Lass mich ausreden.”
Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und wartete.
“Als du mir von deiner Vergangenheit erzähltest”, hob er schließlich an, “erkannte ich, wie verletzt du warst. Du hast dich betrogen gefühlt, von den Menschen, die du liebtest. Ich spürte deinen unsäglichen Schmerz. Und ich wollte, dass du deinen Schmerz vergisst. Ich wollte dich an einen Platz bringen, wo du dich geborgen und sicher fühlen und deinen Schmerz vergessen kannst. Ich wollte dich beschützen.”
Julias Herz schlug einen wilden Trommelwirbel. Was meinte er damit? Warum wollte er sie beschützen? Sie flehte darum, dass er ihre unausgesprochenen Fragen endlich beantworten möge.
“Aber ich habe einen Fehler begangen”, fuhr er leise fort. “Ich habe Vertrauen von dir erwartet, bevor ich meine Absichten klargemacht habe.” Er hielt inne. “Du bist sehr vorsichtig, wenn es um deine Gefühle geht. Was nur verständlich ist, nach allem, was du erlebt hast. Du hattest Kellys Vater deine Liebe und dein Vertrauen geschenkt, und du wurdest bitter enttäuscht. Dein eigener Vater hat dich bitter enttäuscht.”
Julia spürte brennende Tränen in den Augen. Alles, was Ryan sagte, stimmte. Nur wegen ihrer Erfahrungen als Teenager war sie auch heute noch wie ein verschrecktes Kind, das es nicht wagte, seine Gefühle offen einzugestehen.
“Eine körperliche Beziehung zwischen Mann und Frau ist etwas Wunderbares”, fuhr Ryan leise fort. “Aber wenn es nur körperlich ist, bleibt es ziemlich leer.” Er unterbrach sich und fluchte leise. “Ich mache alles nur noch schlimmer! Ich sollte einfach klipp und klar sagen, was ich denke.”
Sie hielt den Atem an. “Was denkst du denn, Ryan?”
Seine Hand glitt an ihrem Arm hinab. “Julia, du sollst
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