Julia Extra Band 0211

arroganten Kopfhaltung konnte Leigh erkennen, dass er an diesem Abend eine Entscheidung getroffen haben musste. Jede Milde und Verbindlichkeit war aus seiner Haltung verschwunden, und als er wieder auf sie zukam, zeigte sein versteinertes Gesicht unmissverständlich, dass es jetzt an ihr war, den nächsten Schritt zu tun. Doch was sollte sie tun?
    Natürlich konnte sie ihn einfach wieder verlassen, nach England zurückkehren und vergessen, dass sie jemals verheiratet war. Sie schüttelte automatisch den Kopf bei diesem absurden Gedanken. Aber würde sie wirklich verkraften können, die ganze Wahrheit über seine Affäre mit Marion zu erfahren? Was habe ich denn noch zu verlieren, sagte sie sich trotzig. Nichts, was er sagen würde, konnte grausamer sein, als ihre verworrenen Fantasien in den Albtraumnächten der vergangenen fünf Jahre. Sie holte tief und zitternd Luft. “Raoul?” Sein wie in Granit gemeißeltes Profil wirkte nicht gerade ermutigend. “Was genau ist damals zwischen dir und Marion geschehen?”, fragte sie mit rauer Stimme.
    Eine leichte Bewegung und das Geräusch von scharf eingesogenem Atem waren die einzigen Hinweise, dass er sie überhaupt gehört hatte. Seine Hände lagen weiter ruhig auf dem Lenkrad, und sein Blick blieb fest auf die Straße geheftet. “Warum jetzt?”, fragte er ruhig. “Seit Wochen habe ich versucht, dir davon zu erzählen. Warum ausgerechnet jetzt?”
    “Ich weiß nicht.” Sie wandte ihm ihr blasses Gesicht zu. “Bitte … erzähl es mir.” Tief atmete sie den vertrauten Geruch seines Rasierwassers und seiner warmen Haut ein und wusste nur, dass sie nicht noch einmal die Kraft haben würde, ihn zu fragen, wenn er sich ihr jetzt verweigern würde.
    “Ja, ich werde es dir erzählen”, sagte er unvermutet sanft. “Fünf lange Jahre habe ich darauf gewartet, dass du mich darum bittest. Ich habe in dieser Nacht nicht mit Marion geschlafen – ich habe
nie
mit ihr geschlafen. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie da inszeniert hatte, während ich im Bad war. Tatsächlich hast du sie sogar noch vor mir gesehen. Und das ist die ganze Wahrheit. Jetzt mach damit, was du willst.”
    Es dauerte mehrere Sekunden, bis diese nüchterne, kühle Erklärung überhaupt in Leighs Hirn tröpfelte, und dann fühlte sie nur noch ein absolutes Vakuum. Diese Variante war sprichwörtlich das Letzte gewesen, was sie als Rechtfertigung erwartet hätte. Aber seine Stimme hatte absolut aufrichtig geklungen. Sie biss sich auf die Unterlippe, bis sie blutete. Langsam, Mädchen, langsam, ermahnte sie sich selbst. Glaubst du es jetzt vielleicht nur, weil du es glauben willst? Ihr Magen hob sich, und die Konturen des Armaturenbretts vor ihr schienen sich aufzulösen. “Und nachdem ich gegangen war?”
    “Nachdem du aus dem Haus gelaufen bist, habe ich Marion zum Packen in ihr Zimmer geschickt, während ich Paul die ganze Situation erklärt habe. Und das war das Ende einer wundervollen Freundschaft. Natürlich hat er versucht, mir die Schuld an dem ganzen Dilemma zu geben. Er hat behauptet, ich hätte es darauf angelegt, seine unschuldige Frau zu verführen.” Er lachte bitter auf. “Ich habe die beiden noch zum Flughafen chauffiert, und als ich wieder nach Hause kam, hatte mich meine Ehefrau mit unbekanntem Ziel verlassen. Zwei Tage und zwei Nächte habe ich ohne Pause nach dir gesucht.”
    “Oh, Raoul …!” Ihr gequälter Tonfall veranlasste ihn dazu, ihr einen schnellen Seitenblick zuzuwerfen. “War ich deine geschäftliche Verpflichtung, die dich vor sechs Wochen nach England gebracht hat?”, fragte sie leise.
    “Natürlich.” Der Wagen wand sich die steilen Serpentinen hinauf, und Raoul richtete seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf die holperige Straße. “Ich habe mich bemüht, dir so viel Zeit wie nur möglich zu geben, aber dieser Jeff …! Es wurde Zeit, ihn auf seinen Platz zu verweisen!”, sagte er in gewohnter Arroganz, aber diesmal stieß sie sich kein bisschen daran.
    “Aber warum hast du so lange damit gewartet, mir die Wahrheit zu sagen. Wenn du doch wusstest, wo ich war …”
    “Ich habe es dir doch schon erklärt. Erinnerst du dich daran, was du zu mir gesagt hast, nachdem du … versucht hast, mich zu schlagen?”
    Leigh senkte beschämt den Kopf. “Ich erinnere mich eigentlich nur daran, dass ich Marion und dich im Schlafzimmer gesehen habe und dann erst wieder an das Feuer, in dem ich meine Sachen verbrannt habe. Dazwischen gähnt ein großes schwarzes