Julia Extra Band 0213
war, eine faustdicke Lüge zu erzählen, ohne knallrot zu werden. Oder war es möglich, dass Hannah Brenton davon abhalten wollte, seine Geschichte zu erzählen, weil es tatsächlich die Wahrheit war?
Das Büro der Hausverwaltung war schon geschlossen, als Hannah in “Barron’s Court” eintraf, aber der Portier war in der Lobby. Sie übergab ihm den Schlüssel zu Isobels Apartment. “Da ich jetzt ausgezogen bin, möchte ich den Schlüssel nicht behalten.” Sie drückte auf den Fahrstuhlknopf.
Der Portier schaute auf den Schlüssel in seiner Hand. “Aber Miss Lowe, wenn Sie hier nicht mehr wohnen …”
“Warum ich dann nach oben fahre? Das ist eine lange Geschichte, Daniel.”
“Ich habe die ganze Nacht Zeit.”
Hannah warf einen Blick auf die Art-déco-Uhr an der Wand. “Ich nicht, wenn ich rechtzeitig zur Party fertig sein will. Wenn Sie der Poststelle mitteilen würden, dass meine Post jetzt im Penthouse abgeliefert werden soll, wäre ich Ihnen dankbar.”
Der Portier sah sie besorgt an. “Sie wohnen jetzt in Mr Winstons Penthouse? Seit ich hier bin, hat nie jemand tatsächlich bei ihm gewohnt.”
Und Daniel würde so etwas garantiert als Erster wissen. “In dem Fall sollte ich mich wohl geehrt fühlen, die Ausnahme zu bilden.” Sie flüchtete in den Fahrstuhl, schloss die Augen und versuchte, all ihren Mut zusammenzunehmen.
Nun gab es kein Entkommen mehr. Sie hatte kurz in Erwägung gezogen, wieder auszuziehen. Aber dem Portier in “Barron’s Court” etwas anzuvertrauen war gleichbedeutend mit einer ganzseitigen Anzeige in der Tageszeitung.
Im Penthouse herrschte ein kontrolliertes Chaos. Im Esszimmer bauten die Leute vom Partyservice ihr Büfett auf, und im riesigen Wohnzimmer legte ein Florist letzte Hand an die Blumenarrangements. Von irgendwoher hörte man im Hintergrund einen Staubsauger brummen, und über allem lag ein Stimmengewirr aus Fragen und Arbeitsanweisungen.
Eine kleine Frau in Schwarz stand mit dem Rücken zur Tür in der Mitte der Eingangshalle, als Hannah eintrat. Die Frau sah auf die Uhr, dann steckte sie zwei Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus, der alle anderen Geräusche übertönte – außer dem Plumps von Hannahs Aktentasche, die sie, verblüfft von dieser wenig damenhaften Geste, auf den Boden fallen ließ.
“Achtung, nur noch fünfzehn Minuten”, verkündete die Frau. Sie drehte sich um. “Sie müssen Hannah sein. Ihr Timing ist ganz schön knapp, nicht?”
Als Hannah den kühlen Blick in ihrem fein geschnittenen Gesicht sah, war ihr klar, dass Cooper seiner Mutter die ganze Geschichte gebeichtet hatte.
“Ich möchte vermeiden, dass Sie annehmen, dass ich meine Karriere vernachlässige”, erwiderte Hannah kühl. “Sonst bekommen Sie möglicherweise den Eindruck, dass ich plane, dieses vorläufige Abkommen mit Cooper zu etwas Langfristigerem auszuweiten.”
Die Frau zog ihre Augenbrauen hoch. “Sie sind überhaupt nicht wie Isobel. Ich bin Sarah Winston.”
Hannah reichte ihr die Hand. “Danke. Ich nehme jedenfalls an, dass das als Kompliment gedacht war.”
“O ja. Isobel hätte diese Feststellung in süßliche Heuchelei verpackt. Ihren ehrlichen Sarkasmus ziehe ich bei weitem vor. Cooper hat mich schon davor gewarnt, dass ich Sie mögen würde. Er könnte recht haben.”
Gewarnt? Eine merkwürdige Ausdrucksweise, fand Hannah.
In diesem Moment erschien Cooper auf der Bildfläche. “Ich sehe, ihr zwei habt euch schon bekannt gemacht. Kann ich dir etwas zu trinken holen, Mutter, bevor die Gäste eintreffen?”
“Nein, danke, ich hole mir selbst etwas”, antwortete Sarah. “Ich muss sowieso noch die Bar überprüfen. Möchten Sie etwas, Hannah?”
“Alles außer Rotwein”, warf Cooper hilfsbereit ein.
Sarah sah ihn verständnislos an.
“Hannah trinkt ihn nämlich nicht. Sie zieht es vor …”
Hannah trat ihm heftig auf den Fuß. Als er sie überrascht ansah, gurrte sie: “Tut mir leid, Liebling. Ich bin so entsetzlich ungeschickt in letzter Zeit. Was wolltest du gerade sagen?”
“Ich wollte Mutter gerade erzählen, wie du mir gezeigt hast, welchen Schaden ein einziges Glas Rotwein unter gewissen Umständen anrichten kann.”
Sarah beobachtete die beiden. “Ich verstehe”, murmelte sie. Bei ihrem plötzlich aufflackernden Lächeln wurden Grübchen sichtbar.
Entwaffnet sah Hannah ihr nach.
Es klingelte an der Tür, und auf Coopers Drängen hin zogen sie sich ins Wohnzimmer zurück. Der Butler öffnete die
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