Julia Extra Band 0258
hatte.
Er würde seine Worte sehr bewusst wählen müssen, wenn er sie anrief. Es war wichtig, dass er genau den richtigen Ton traf,und das war nicht einfach. Zumal wenn es darum ging, Priscilla unmissverständlich deutlich zu machen, dass er sie nicht mehr sehen wollte – und schon gar nicht in der Nähe seiner Tochter!
Es war schon später Nachmittag am nächsten Tag, als er den Anruf tätigte. Er befand sich in seinem Büro in der City, weil er sich um dringende Geschäfte kümmern musste, die nicht bis nach Neujahr warten konnten. Allerdings plagte ihn sein schlechtes Gewissen, sodass er schließlich Priscillas Handynummer wählte.
Sie hatte seine Nummer bereits erkannt, noch ehe er ein Wort sagen konnte. „Hallo, Hugh“, schnurrte sie. „Welch angenehme Überraschung. Was kann ich für dich tun, Liebling?“
Er dachte, er wäre auf den Anruf vorbereitet, doch plötzlich befiel ihn eine Art sechster Sinn, ein ungutes Gefühl, ein Verdacht, weil Priscilla viel zu entspannt und zufrieden klang.
Ob sie irgendetwas ausheckte?
„Liebling?“, wiederholte Priscilla.
Als sie noch zusammen waren, hatte sie ihn nie Liebling genannt. Jetzt nervte ihn die hohle Bedeutungslosigkeit des Koseworts.
„Guten Tag, Priscilla. Wie geht es dir?“
„Wunderbar. Wir haben so viel Spaß – wir sind beim Tee im Ritz.“
„Wie nett.“ Seit Mittag schon regnete es in Strömen, und es sah Priscilla wirklich ähnlich, dass sie in einem der großen Luxushotels beim Tee saß, während andere, weniger Glückliche draußen nass wurden.
Ja, er konnte sich bildlich vorstellen, wie sie ihre Marie-Antoinette-Haltung einnahm, während sie eine Tasse Tee oder ein Champagnerglas an die Lippen führte und äußerst damenhaft an einem Räucherlachssandwich knabberte. Ja, sie war garantiert im Ritz – er konnte sogar das Streichquartett im Hintergrund hören, das Mozart spielte.
Beruhigt, dass sie damit zumindest keinen größeren Schaden anrichten konnte, konzentrierte Hugh sich wieder auf sein eigentliches Anliegen.
„Du errätst nie, wer hier gerade bei mir ist“, kam sie ihm zuvor.
Da er immer noch etwas abgelenkt war, brauchte er ein, zweiSekunden, um ihre Bemerkung zu registrieren. „Ach?“
„Jo und Ivy.“
„ Was?“ Hugh spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Sein Magen zog sich zusammen, während er aufsprang. Jo und Ivy hatten eine Besichtigungstour machen wollen.
Priscilla lachte leise. „Ist das nicht ein glücklicher Zufall?“ Von wegen.
„Ich bin den Ärmsten begegnet, als sie gerade aus dem Hyde Park kamen.“
Wahrscheinlicher war, dass sie ihnen aufgelauert hatte.
„Hugh, du solltest deinen ausländischen Gästen sagen, dass sie in London nie ohne Regenschirm ausgehen dürfen. Die zwei waren pitschnass, und es ist so kalt draußen. Die arme kleine Ivy hätte sich eine Lungenentzündung holen können. Natürlich habe ich darauf bestanden, sie mit ins Ritz zu nehmen, damit sie dort trocknen können.“
In der Zwischenzeit hatte Hugh nach seinem Mantel gegriffen und schlüpfte gerade mit einem Arm hinein, während er nach wie vor sein Handy ans Ohr presste. „Wie geht es ihnen?“, rief er und stürmte dabei bereits aus dem Büro.
„ Jetzt geht es ihnen wunderbar, Liebling. Jo trinkt eine Tasse Earl Grey, und Ivy schlägt sich den Bauch mit Scones und Erdbeermarmelade voll.“
Hugh wusste ganz genau, dass diese betont idyllische Darstellung Blödsinn war. Priscilla hatte die beiden bestimmt nicht eingeladen, weil sie so ein gutes Herz hatte. Sie musste Hintergedanken hegen. Während der Lift ihn ins Parkhaus brachte, suchte er nach einem Weg, das Gespräch aufrechtzuerhalten. Er musste Priscilla von dem ablenken, was auch immer sie geplant hatte.
Doch gerade in dem Moment, als er seinen Wagen erreichte, sagte Priscilla: „Oh, es tut mir Leid, Hugh. Es gibt einen Notfall. Ivy muss auf die Toilette.“ Damit legte sie auf.
Er dachte daran, gleich zurückzurufen, aber vermutlich würde Priscilla ohnehin nicht abnehmen, und außerdem war es sinnvoller, sich aufs Fahren zu konzentrieren. Er musste so schnell wie möglich zum Ritz gelangen.
Während er den Wagen durch den nach wie vor heftigen Regen lenkte, wurde er immer unruhiger. Als er am Piccadilly abbog, versuchte er sich jedoch davon zu überzeugen, dass seineÄngste unbegründet waren.
Priscilla mochte ja lästig geworden sein, aber sie war nicht bösartig. Und was sollte Jo und Ivy schon im Ritz passieren? Das Hotel war voller
Weitere Kostenlose Bücher