Julia Extra Band 0258
Anna erwiderte nichts, sondern lächelte die Verkäuferin freundlich an und ließ sie die neuen Kleider zusammenfalten.
„Willst du nichts anprobieren?“, fragte Leo skeptisch.
„Ich weiß, dass die Kleider mir passen, und ich weiß, dass sie mir stehen. Diese Fähigkeit entwickelt man in meinem Job.“
„Wenn ich sonst Frauen zum Shoppen ausführe“, sagte Leo, „verbringen sie Stunden damit, alles in Sichtweite anzuprobieren. Das ist todlangweilig. Deine Haltung ist wirklich erfrischend, glaub mir.“
Er griff in seine Gesäßtasche und holte seine Geldböse heraus. Doch Anna reichte der Verkäuferin bereits ihre Kreditkarte.
„Anna“, unterbrach er sie. „Wenn du erlaubst.“
„Nein“, antwortete sie und nickte der Verkäuferin zu, ihre Karte zu nehmen.
Leo seufzte. „Willst du mir damit irgendetwas beweisen?“
„Nein. Ich bezahle nur meine Kleider.“
Abrupt steckte Leo sein Portmonee wieder weg. Sollte sie ihre Kleider doch selbst kaufen, wenn sie darauf bestand. Stumm sah er zu, wie sie den Beleg unterschrieb, ihre Tüten nahm und dann plötzlich zögerte.
„Ich würde mich gern umziehen“, erklärte sie der Verkäuferin, die ihr lächelnd eine Umkleidekabine zeigte.
In weniger als zwei Minuten war Anna wieder zurück, gekleidet in ein leuchtend blau-oranges Sommerkleid, das locker bis zu ihren Knöcheln fiel.
Leo stockte der Atem. Sie war wirklich die erstaunlichste Frau, die er je gesehen hatte. Seit sie hier war, trocknete sie dieHaare an der Luft und trug sie meistens ohne jedes Styling zu einem Pferdeschwanz gebunden. Außerdem benutzte sie kein Make-up, außer Sonnencreme und schützendem Lipgloss. Und sie trug auch keinen Schmuck.
Und doch sah sie in dem einfachen bedruckten Kleid atemberaubend aus.
Irgendetwas regte sich in ihm. Ein merkwürdiges Gefühl. Er wusste nicht, was es war.
Aber er ahnte, dass es unangemessen war.
„Gehen wir“, meinte er kurz angebunden und eilte nach draußen.
Anna folgte ihm. Sie war erleichtert, endlich etwas tragen zu können, was in der tropischen Umgebung nicht völlig idiotisch aussah.
„Da vorn ist noch ein Geschäft.“ Leo deutete auf einen Laden gegenüber und ging darauf zu.
„Danke. Ich habe alles, was ich brauche.“
„Keine Frau hat all die Kleider, die sie braucht! Und diesmal“, er sah ihr direkt in die Augen, „werde ich bezahlen. Bitte mach nicht noch eine Szene.“
„Ich möchte wirklich nicht noch mehr Kleider“, beharrte sie. „Was willst du dann?“ Als er sich suchend umsah, entdeckte er ein Juweliergeschäft. Einen Augenblick dachte er darüber nach, ihr Schmuck zu kaufen, als wäre sie eine normale Geliebte.
Anna war seinem Blick gefolgt. „Nein, danke“, sagte sie zuckersüß. „Ich bevorzuge es, meine Juwelen zu stehlen.“
Wieder sah Leo sie an, und sein Blick hielt den ihren gefangen.
Und während einer unerklärlichen Sekunde wollte er lachen. Diese Frau war empörend – und gleichzeitig …
Absichtlich unterbrach er den Blickkontakt und deutete auf einen Andenkenladen.
Anna schüttelte den Kopf. „Ich habe bereits genug Souvenirs von der Insel, die ich nicht will.“
Noch ein Blick. Diesmal wollte er allerdings nicht lachen, sondern sie am liebsten erwürgen.
„Nun, aus dem österreichischen Gefängnis hättest du bestimmt noch ganz andere Souvenirs mitgebracht“, erwiderte er und griff nach ihrem Arm. „Ich brauche jetzt einen Kaffee.“
Sie versuchte, sich ihm zu entziehen, aber er hielt sie fest.
„Lass mich los“, zischte sie.
Doch er verstärkte nur seinen Griff. „Das ist nicht, was du im Bett sagst, Anna mou. Dort willst du, dass ich dich berühre.“
Auch jetzt errötete sie heftig, und ihre Augen bekamen einen merkwürdigen Ausdruck. Es sah wirklich wie Verlegenheit aus. Aber das war nicht möglich. Anna Delane war eine Diebin, schamlos und uneinsichtig – und bei dem Leben, das sie als Model führte, konnte man sie wohl kaum mit Anzüglichkeiten in Verlegenheit bringen.
Dann hob sie das Kinn, und um ihren Mund erschien ein harter Zug – als hätte sie gerade etwas Bitteres hinuntergeschluckt.
„Ich dachte, du willst einen Kaffee“, sagte sie.
8. KAPITEL
Von dem kleinen Hafencafé aus beobachtete Anna die Schiffe. Da es kein Yachthafen war, lagen hier überwiegend Fischerboote, Frachter und Fähren, die zu anderen Inseln übersetzten.
Ihr gegenüber saß Leo mit finsterer Miene.
Sie ignorierte ihn – wie üblich. Überall sah sie hin, nur nicht zu ihm.
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