Julia Extra Band 0258
geküsst, nicht gestreichelt, nicht berührt hatte.
Trotzdem ist es das Gesicht eines Fremden, dachte sie. Eines Fremden, der niemals etwas anderes sein konnte.
Für einen Moment, so kurz und doch so quälend, saß sie dort, umgeben von anderen Paaren und Familien, die sich an diesem friedlichen Ort unterhielten, aßen und tranken. Und plötzlich wünschte sie sich, sie und Leo Makarios wären eines dieser Paare.
Irgendeines – ob jung oder alt, gut aussehend oder hässlich – es spielte keine Rolle. Die Hauptsache war, wie sie sein zu können: in den Ferien, zusammen – eben ein wirkliches Paar.
Nicht seine gezwungene Bettgespielin, auch nicht seine verzogene Geliebte – sondern jemand, der ihm etwas bedeutete.
Wütend ließ sie das Bild in ihrem Kopf in tausend kleine Stücke zerspringen. Verrückt, so etwas überhaupt zu denken. Ihre Miene war wieder hart geworden, als sie nach ihrem Wasserglas griff, einen Schluck trank und sich zwang, wie üblich ausschließlich die Umgebung zu betrachten.
Kurz darauf servierte ein Kellner das Essen.
„Hast du das bestellt?“, fragte Leo und sah skeptisch auf ihren vollen Teller.
„Ja“, erwiderte sie. „Das ist meine Art zu feiern.“
„Feiern?“
Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Meine freie Nacht.“
Nach einem kurzen finsteren Blick entspannte er sich wieder. „Es ist schön, dich einmal vernünftig essen zu sehen.“
„Ich habe es dir doch erklärt – ich habe keine andere Wahl. Models müssen Untergewicht haben. Das ist Teil des Mythos aus der Modewelt.“ Sie spießte eine Garnele mit der Gabel auf.
Auch Leo begann zu essen. „Du klingst sehr feindselig, wenn du von deiner Karriere sprichst.“
„Ich mache mir eben keine Illusionen.“
„Ich dachte, Model zu sein, wäre für die meisten Frauen ein wahr gewordener Traum?“
Anna aß eine weitere Garnele und schwelgte in dem wunderbaren Geschmack.
„Die Modeindustrie behandelt Models wie Müll – erinnerst du dich an den reizenden Signor Embrutti, der wollte, dass Jenny sich auszieht, ohne sich darum zu kümmern, dass sie das nicht wollte? Glaubst du, das war eine Ausnahme? Models müssen unglaublich hart sein, um in diesem Geschäft zu überleben.“
„Dann sollte es der ideale Job für dich sein“, entgegnete Leo spöttisch. „Denn ich kann mich auch daran erinnern, dass du Embrutti mit deinem Vertrag gedroht hast.“
„Dieser Widerling! Ich habe schon früher mit ihm gearbeitet. Deshalb habe ich auch sofort, nachdem ich erfahren hatte, dass Justin, der Unterwürfige, ihn engagiert hat, auf einer ‚Keine-Aktaufnahmen-Klausel‘ für alle vier Models bestanden.“
„ Wie hast du ihn genannt?“ Leo legte sein Besteck beiseite.
„Hätte ich ihn Justin, der Schleimer nennen sollen?“, fragte Anna zurück. „Ach du lieber Himmel, du wirst doch wohl bemerkt haben, dass der Mann ein echter Mistkerl ist?“
„Er will seine Arbeit gut machen.“
„Muss er deshalb gleich deine Stiefel lecken? ‚ Ja, Mr. Makarios. Natürlich, Mr. Makarios. Alles was Sie sagen, Mr. Makarios. ‘“ Sie sah ihn an. „Du willst dich doch nicht wirklich mit Schleimern umgeben, oder?“
Verwirrung spiegelte sich in seinen Augen. „Meine Angestellten wissen, was ich von ihnen erwarte. Im Gegenzug für erstklassige Arbeit werden sie erstklassig bezahlt – genau wie du und die anderen Models.“
„Glaub mir, wir haben uns jeden Cent davon redlich verdient! Gab es irgendwelche Beschwerden über die Qualität unserer Arbeit?“
„Nein, ihr wart alle sehr professionell“, gab er zu. „Selbst als du dem Fotografen den Vertrag unter die Nase gehalten hast. Das tust du häufiger, oder?“
„Wenn ich muss. Ich habe den Job auf die harte Tour gelernt. Als ich angefangen habe, hat eine unseriöse Werbeagentur auf Bildern mit nackten Brüsten bestanden. Meine Agentur hat mir gesagt, ich soll das Shooting machen. Aber ich habe mich geweigert, was mich diesen und viele Folgeaufträge gekostet hat. Von da an habe ich in jedem Vertrag auf einer ‚Keine-Akt-aufnahmen-Klausel‘ bestanden.“
Verständnislos runzelte Leo die Stirn. „Wo ist das Problem? Nacktheit ist heutzutage doch ganz normal.“
Anna legte ihre Gabel auf den Tellerrand. „Okay, dann zieh dich aus. Mach schon. Zeig den netten Leuten hier deinen Körper. Lass Aktaufnahmen von dir in einem Hochglanzmagazin abdrucken. Sorge dafür, dass deine Freunde und Verwandten sie sehen. Stell sicher, dass vollkommen Fremde sie in der Londoner
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