Julia Extra Band 0258
Nein zu sagen. Aber dieser Fall war kompliziert. Schließlich saß sie auf Merit Island einen ganzen Monat fest, und George Merit war nicht der Typ, der eine Absage einfach so hinnahm. Er würde seine Bitte immer wieder unbarmherzig wiederholen. Hinzu kam noch, dass Jake ein wichtiger Kunde war. Konnte sie es sich da leisten, seinen Vater zu verärgern? Die Sekunden verstrichen, dann meinte sie seufzend: „Okay, George. Wann wollen wir spielen?“
Der alte Herr sprang begeistert auf. „Ich bereite schon mal alles vor“, ließ er sie wissen. „Jake kann Ihnen zeigen, wie Sie zu mir kommen.“ Aufgeregt setzte er hinzu. „Lassen Sie mich bitte nicht so lange warten, Missy.“
„Nennen Sie mich bitte Susan“, sagte sie mit unbewegter Miene. „Wenn Sie mich Missy nennen, komme ich mir nämlich wie ein Schoßhündchen vor.“
„Sagen wir, in einer Viertelstunde?“, schlug er vor und verließ damit eilig das Esszimmer.
Seufzend ließ sie sich zurücksinken. Warum hatte sie nicht Nein gesagt – komme, was da wolle. Sie schloss sie die Augen. Hätte Ed ihr doch nur etwas mehr von den Lebensumständen hier erzählt – und sie vor dem schachbesessenen George Merit gewarnt!
Sie war davon ausgegangen, dass man sie in irgendeinem Dachstübchen oder in einer Hütte irgendwo auf der Insel unterbringen und mit den Minenarbeitern essen lassen würde. Dann wäre Jake für sie eine Art ferner Held gewesen, der den Massen vom Balkon aus zuwinkte, um sie bei Laune zu halten. Dass er so etwas Ähnliches sowieso für sie war, war nur ein schwacher Trost.
Ehrlicherweise musste man aber zugeben, dass George – und nicht Jake – hier den Monarchen herauskehrte. Sie würde ihren letzten Dollar darauf verwetten, dass sich George nie mit den Minenarbeitern an einen Tisch setzte.
„Ganz allein?“
Erschrocken fuhr sie herum. Jake betrat den Speiseraum. Bei seinem Anblick kam ihr Blut umgehend in Wallung. Er war groß und gut gebaut und hatte diese feinen Gesichtszüge und dieses umwerfende Lächeln, was sie dahinschmelzen ließ. „Ihrerster Eindruck von den Männern auf Merit Island muss katastrophal sein. Da haben wir Sie beide nun allein gelassen.“
Seine Schritte waren auf dem Perserteppich nicht mehr zu hören. Als er an ihr vorbeiging, roch sie seinen wunderbaren Duft. Er fragte: „Wo ist mein Vater?“
„Er ist in sein Zimmer gegangen, um die Schachfiguren aufzustellen.“
Jake nahm ihr gegenüber Platz und sah sie neugierig an. „Er hat sie gedrängt, mit ihm zu spielen?“
Sie lächelte schwach. „Es fällt schwer, ihm etwas abzuschlagen.“
Jake lächelte schief. „Erzählen Sie mir alles!“
„Nein, erzählen Sie mir alles!“, erwiderte sie und lehnte sich vor. „Wie verliert er schneller die Lust daran, mit mir Schach zu spielen – wenn ich schlecht bin oder wenn ich gewinne?“
Jake sah sie interessiert an. „Sie scheinen zu glauben, dass Sie ihn schlagen können?“
Sie errötete leicht. Sonst war sie nie so überheblich. Egal. „Wie werde ich ihn schneller los?“, wiederholte sie ihre Frage.
Im Kerzenlicht sah sie, dass Jake grinste. „Schlagen Sie ihn.“
Das hatte sie sich gedacht. Je großmäuliger die Herausforderer waren, desto schneller gaben sie auf. „Danke für den Tipp“, sagte sie und tupfte sich den Mund mit der gestärkten Leinenserviette ab.
„Sie müssen sich nicht bedanken“, meinte er. „Noch haben Sie nicht gewonnen.“
Sie schmunzelte. „Da haben Sie Recht. Noch nicht.“
Er sah sie an, als wolle er herausfinden, was in ihrem Kopf vorging. Bestimmt hatte sie auf ihn bisher nicht den allerbesten Eindruck gemacht. Er hielt sie sicher nicht nur für ein Gänschen im Umgang mit Männern, sondern auch noch für eine Hochstaplerin. Sie beobachteten sich eine Weile schweigend.
„Mein Vater ist ein sehr guter Schachspieler“, meinte er dann unvermittelt.
Susan lächelte. „Das hat er mir zu verstehen gegeben“, erwiderte sie. „Ich werde einfach mein Bestes geben.“
Jake konnte nicht wissen, dass ihr Vater ein berühmter Schachspieler war. Sie und Yvette hatten das immer geheim gehalten – um sich so lästige Schachfans vom Hals zu halten.
Er sah sie aus schmalen Augen an, und Susan hatte nichtdie geringste Ahnung, was ihm nun wohl so durch den Kopf ging. „Viel Glück“, sagte er dann, nahm einen Schluck Kaffee und schmunzelte. „Ich hoffe, Sie sind reaktionsschnell. König George hat die Neigung, mit irgendwelchen Sachen um sich zu werfen, wenn er
Weitere Kostenlose Bücher