Julia Extra Band 0258
als vergnüglichbezeichnen konnte. Doch Jake hätte noch mehr an ihrem Gemütszustand gerührt.
Susans eigener Vater war auch ein brummiger Typ. Sie wusste daher, dass solche Menschen gar nicht so unangenehm waren, wie sie wirkten. Da konnte George ruhig die „Bulldogge“ herauskehren.
„Spielen Sie Schach?“, wollte er jetzt wissen.
Er saß links neben ihr, und sie schaute ihn von der Seite an. Er hatte nur wenig Ähnlichkeit mit Jake, war etwas kleiner, hatte schmalere Schultern. Vor allem aber fiel seine andere Haltung auf: George war steif und wirkte verbissen, Jake war locker und lässig. George führte zwar nicht mehr die Geschäfte, trotzdem zeigte seine Haltung, dass er sich für den Herrscher dieser Insel hielt.
Aber das beeindruckte Susan nicht. Ruhig erwiderte sie: „Tut mir Leid, George. Ich spiele kein Schach.“
Der Senior schaute sie geradezu entgeistert an. Mit seinem silberfarbenen Haar und der schmalen Figur wirkte er ausgesprochen eigenwillig.
„Wieso nicht?“, fragte er verblüfft. „Wer im Berufsleben erfolgreich sein will, sollte Schach spielen können. Es trainiert das Gehirn. Man lernt strategisches Denken und Konzentration. So was ist wichtig.“
„Mag sein, aber ich spiele nicht besonders gern.“ Sie lächelte. „Um mich zu entspannen, zeichne ich. Außerdem gehe ich regelmäßig zum Kickboxtraining.“
Der alte Herr schien überrascht. „Eine schmächtige junge Frau wie Sie?“ Er lehnte sich vor und sah sie eingehend an. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Miss O’Connor. Ich bringe es Ihnen bei. Widerrede zwecklos!“
Susan nippte an ihrem Wein, um Zeit zu gewinnen. Wie sollte sie sich jetzt verhalten? Sie hatte keineswegs die Absicht, in jeder freien Minute mit George Merit Schach zu spielen. Sie wusste, wie verbissen manche Leute an dieses Spiel herangingen. Sie überlegte und beschloss dann, ehrlich zu sein und ihm nicht auszuweichen. Dieser Tyrann hatte es nicht gern, wenn man ihm etwas abschlug. Da musste sie deutlicher werden.
„Um genau zu sein, George. Ich kann Schach spielen. Aber ich mag dieses Spiel nicht.“
„Sie mögen dieses Spiel nicht!“, rief er aufgeregt aus undschlug mit der Faust so kräftig auf den Tisch, dass das Silberbesteck klirrte. „Dann hat man es Ihnen nicht richtig beigebracht!“
„Verzeihen Sie, George, aber ich spielte mit meinem Vater schon Schach, als andere kleine Mädchen noch ihren Barbiepuppen den Tee servierten.“ Sie hob die Schultern. „Da habe ich einfach keinen Geschmack mehr dran … Bitte verstehen Sie das.“
„Unsinn!“, fiel er ihr ins Wort. „Ihr Vater …“
Jetzt unterbrach sie ihn mit Nachdruck. „Mein Vater ist Chester O’Connor.“
George war gerade im Begriff, sich Wasser aus der Kristallkaraffe einzuschenken, als er abrupt innehielt. „Wie bitte?“
Sie lächelte süß und nickte.
„Der Chester O’Connor? Ihr Vater ist tatsächlich der berühmte Schachweltmeister?“
Susan fühlte Stolz in sich aufsteigen. Sie wusste, dass Schachspieler überall auf der Welt ihren Vater kannten. Sie liebte ihn sehr, aber er war schuld daran, dass sie sich in ihrer Kindheit mit Schach und noch mal Schach hatte herumplagen müssen. Er hatte all seinen Ehrgeiz dareingesetzt, aus ihr eine erstklassige Schachspielerin zu machen und ihr alle Tricks beizubringen. Nachdem sie zu Hause ausgezogen war, um zur Uni zu gehen, hatte sie ihn wissen lassen, dass nun Schluss sei mit dem Schachspielen. Und tatsächlich hatte sie seither keine Figur mehr angerührt.
„Sie haben von meinem Vater gehört?“, fragte sie ihn ruhig.
Erstmals schien es George die Sprache verschlagen zu haben. Doch nach einigen Minuten hatte er sich wieder gefasst: „Es wäre mir eine Ehre, einmal gegen Sie spielen zu dürfen.“
Wie interessant, dachte sie bei sich. Eben noch hat er sich hier aufgespielt wie ein Großfürst, jetzt benimmt er sich, als wäre ich eine Königin und er ein Bettler. Nun ja, in der Welt der Schachspieler bin ich wohl so etwas! Trotzdem schüttelte sie den Kopf. „Tut mir Leid.“
„Ich bestehe darauf!“, sagte er eigensinnig.
Susan ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie kannte diese ehrgeizigen Schachspieler nur zu gut, die da glaubten, dass es erhebend sein müsse, gegen die Tochter eines Schachgroßmeisters zu spielen und sie womöglich zu schlagen. Diese Logik begriff sie nicht, aber sie war, nach ihrer Erfahrung, unter Schachspielernweit verbreitet.
Normalerweise hatte sie keine Probleme damit,
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