Julia Extra Band 0258
lieber offen tragen sollte. In dem Moment klopfte es an der Tür. Da war er! Jake!
„Ja, bitte?“
„Ich bin es.“
Sie sprang auf, sah ein letztes Mal in den Spiegel, zog eine Grimasse und rief: „Moment!“
Dann riss sie die Tür weit auf. „Hallo!“
Mehr fiel ihr nicht ein, und mehr hätte sie bei seinem Anblick sowieso nicht herausgebracht. Er hatte sich umgezogen, trug jetzt ein schlichtes Baumwollhemd und eine beigefarbene Hose. Dieses lässige Outfit stand ihm einfach fabelhaft. Sie musste schlucken und schwieg und schwieg. Peinlich, diese Stille. Hoffentlich sagte er bald etwas …
„Tut mir Leid, dass ich mich etwas verspätet habe“, begann er und trat von der Tür zurück, sodass sie den Raum verlassen konnte. „Ich musste ein paar Telefonate erledigen.“
Susan drehte sich um und schloss die Zimmertür. „Keine Ursache“,meinte sie höflich. „Bestimmt hätte ich den Weg zum Esszimmer auch allein gefunden.“
„Wie gesagt, zur Not einfach zum Telefonhörer greifen“, wiederholte er und führte sie galant den Flur entlang.
„Nein, das kann ich nicht“, scherzte sie. „Ich gehöre zu der Gattung, die alles auf eigene Faust herausfinden muss. So war schon meine Großmutter. Sie fand sogar ganz allein den Ausgang des Guggenheim Museums in New York.“
„Ach, das war Ihre Großmutter?“, erwiderte Jake zum Spaß und tat erstaunt.
Susan sah ihn von der Seite an. Wie schaffte er es, dass sie sich auf einmal in seiner Gegenwart gleichzeitig so leichtsinnig und zufrieden fühlte? „Ach, Sie haben von ihr gehört?“, spann sie den Faden weiter.
„Selbstverständlich! Die Eroberer Kolumbus, Ponce de Leon und Großmama O’Connor. Wer kennt nicht diese drei Namen!“
Sie lachte und meinte: „Ist das wirklich die richtige Reihenfolge?“
Sie waren inzwischen bei der Treppe angelangt. Er schaute sie von der Seite an und lächelte, was eine verheerende Wirkung auf sie hatte. „Komisch“, meinte er. „Wieso fühle ich mich auf einmal so überflüssig?“
Susan verkniff sich jeglichen Kommentar. Sie dachte nur: Du bist ganz bestimmt kein überflüssiger Typ!
Er legte ihr jetzt leicht die Hand auf den Rücken und geleitete sie die Treppe hinunter. Rechts herum ging es nun in die Empfangshalle. Dabei kamen sie am Salon vorbei, dessen geschwungene Flügeltüren offen standen. Ein Gemälde über dem Kamin nahm Susans Aufmerksamkeit gefangen. Überrascht blieb sie stehen.
„Ist etwas?“, wollte Jake wissen.
Sie deutete auf das Gemälde über dem Kamin. „Ist das ein Chagall?“
Er betrachtete das farbenfrohe Bild und erwiderte: „Ganz hübsch, nicht wahr?“
„Ganz hübsch?“ Sie wandte sich wieder dem Gemälde zu. „Das ist wunderschön! Haben Sie etwas dagegen, wenn ich es mir aus der Nähe anschaue?“
„Gehen Sie nur.“ Er ließ sie los, offenbar wollte er in der Empfangshalle stehen bleiben. Aber dann hörte sie, dass er ihrdoch folgte.
Susan trat an den Kamin und legte die Hände auf den kühlen Marmorsims. Lieber hätte sie allerdings das Ölgemälde berührt. „Ein echter Chagall!“, flüsterte sie ehrfürchtig.
Jake antwortete nicht, deshalb sah sie ihn an. „Das ist ein Original.“
Er lehnte sich gegen den Kamin und sah das Bildnis eher gleichgültig an, bevor er sich ihr wieder zuwandte. „Mama mochte seine Gemälde sehr.“
„Bisher habe ich Originale von Chagall nur in Museen gesehen. Dieses Werk muss ja eine Menge gekostet haben.“
Er schwieg, was ging in ihm vor? Sie versuchte, das an seiner Miene abzulesen, und erzählte dann zögernd: „Ich habe einige Lithografien von ihm. Die sind weder nummeriert noch tragen sie seine Unterschrift. Aber ich mag sie sehr.“
„Aha. In Ihrer Freizeit spielen Sie die Hobby-Kunstsachverständige.“
„Nein, ich zeichne. Ich bin nicht besonders gut darin, aber ich erkenne immerhin Qualität, wenn ich sie sehe.“
Sie schaute wieder das träumerische Bild von Chagall an und nahm dabei gleichzeitig aus dem Augenwinkel die Fotografien wahr, die auf dem Kaminsims standen.
„Das war meine Mutter“, sagte Jake, der ihr Interesse sofort erraten hatte. Er trat etwas näher heran, sein Duft betörte sie und machte sie ganz konfus. Aber das fand sie im Grunde ganz angenehm.
Susan sah sich das Foto genauer an. Es zeigte eine Schönheit mit dunklen Haaren und großen grünen Augen. Beides hatte Jake ganz offensichtlich von ihr geerbt.
„Ihre Mutter war eine sehr gut aussehende Frau“, sagte sie
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