Julia Extra Band 0258
Lehnstuhl, der im Salon vor einem riesigen Bücherregal stand. Selbst der spannende Roman, den sie sich herausgesucht hatte, konnte sie nicht auf andere Gedanken bringen. Also legte sie das Buch beiseite und sah zur Wanduhr. Halb drei …
„Na toll, Susan“, sagte sie laut zu sich. „In gut vier Stunden musst du wieder aufstehen. Du wirst dann mit roten Augen herumlaufen und völlig übermüdet aussehen und jeder wird wissen, dass du ein liebeskranker Trottel bist.“
Sie betrachtete ihr Spiegelbild und fuhr sich durch ihr zerzaustes kastanienbraunes Haar. Wann würde endlich wieder Ruhe in ihr Leben einkehren? Kopfschüttelnd schlüpfte sie in ihre Pantoffeln und zog den Gürtel ihres flauschigen Morgenmantels fest. An Schlaf war nicht zu denken, deshalb beschloss sie trotz der ungewöhnlichen Uhrzeit spazieren zu gehen.
Sie liebte Jake – auch wenn er diese Gefühle nicht erwiderte. Und sein unmoralisches Angebot konnte sie unmöglich annehmen. Es würde ihr das Herz brechen.
Susan war jetzt am Steilufer, und zwar genau da, wo sie Jakes Vater skizziert hatte. Ohne sich zu besinnen, ging sie den Abhang hinunter zu den Felsen, die ins Meer hinausragten. Das war genau der richtige Platz, um einfach mal still dazusitzen, dem Spiel der Wellen zuzusehen und der ewigen Musik des Meeres zu lauschen.
Der Mond schien in dieser Nacht nicht besonders hell. Sie konnte genug sehen, um über die Felsen zu klettern. Nur warenihre Pantoffeln nicht gerade die geeigneten Schuhe für dieses kleine Abenteuer. Es war gar nicht so einfach, mit ihnen auf den riesigen flachen Felsen zu klettern, auf dem George gesessen hatte.
Als sie nur noch einen halben Meter von dem Logenplatz am Meer entfernt war, rutschte sie auf einem losen Stein aus. Sie kam aus dem Gleichgewicht, ruderte hilflos mit den Armen und fiel prompt ins Wasser. Sie kam dort zwar sofort wieder an die Oberfläche, doch ihr Morgenmantel hing schwer an ihr und behinderte sie beim Schwimmen. Prustend löste sie den Gürtel und streifte ihn ab, während sie zum Strand zurückschwamm. Ihre Pantoffeln waren inzwischen auch auf und davon. Nun ja, einer von ihnen tanzte allerdings in der Nähe auf den Wellen. Sollte sie hinschwimmen und ihn retten? Lieber nicht. Das Wasser war schließlich eiskalt. Und einer nützte ihr sowieso nichts. Also verabschiedete sie sich im Geiste von den Schuhen. Die würde sie wohl nie wiedersehen.
Susan schluckte Wasser, hustete und spuckte. Auf einmal konnte sie die Beine nicht mehr bewegen. Ihre Pyjamahose war heruntergerutscht, hing auf Kniehöhe. Sie zappelte mit den Beinen, und schon war auch die Hose fort – wie der Morgenmantel und die Pantoffeln –, alles war nun die Beute des Meeresgottes Poseidon.
Das Wasser umschäumte mächtig die Felsen. Susan keuchte und spuckte in der Brandung. Immer wieder griff sie nach den Steinvorsprüngen. Aber alles war so rutschig. Sie glitt wieder und wieder ab. Mühsam kämpfte sie darum, sich irgendwie auf die Felsbrocken zu hieven.
Endlich, geschafft! Fast hatte sie schon nicht mehr daran geglaubt, dass es noch klappen würde. Ihre Finger waren inzwischen fast steif vor Kälte, und sie zitterte am ganzen Körper. Da hatte sie sich ja in eine fürchterliche Situation gebracht.
Ängstlich kletterte sie auf allen Vieren über die Steine. Hoffentlich verlor sie nicht noch mal das Gleichgewicht. Wenn sie noch mal ins Wasser fiel, könnte das böse enden, so durchgefroren wie sie war …
Nachdem sie nun mit nichts als der nassen Pyjamajacke dastand, musste sie über sich den Kopf schütteln. Sie konnte es nicht fassen. Wie war sie nur auf die Idee gekommen, mitten in der Nacht hier hinaus zu wollen?
Plötzlich umfasste jemand ihren Arm. Erschrocken sah sie auf. Es war Jake. Er stand über ihr auf dem Felsbrocken, auf den sie mühsam hinaufzukrabbeln versuchte. Besorgt sah er sie an.
„Jake?“, rief sie überrascht. Doch es kam nur ein Krächzen heraus.
Salzige Meerwassertropfen liefen über ihr Gesicht. Alle Angst fiel auf einmal von ihr ab. Endlich war sie in Sicherheit.
Das Zittern wurde immer schlimmer. Sie konnte nichts dagegen machen. Jake strich ihr eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und stellte fest: „Du frierst. Du musst das nasse Hemd sofort ausziehen.“
Sie spürte, dass er sich an den Knöpfen ihrer Pyjamajacke zu schaffen machte. Dabei berührte er unabsichtlich auch ihre Brüste.
Instinktiv schob sie seine Hand fort. „Was soll das!“
„Halt den Mund!“, erwiderte er
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