JULIA EXTRA BAND 0261
Augenschlitze glich einer stillen Warnung. Sie konnte seinen wilden Kuss, ihr leidenschaftliches Zusammensein nicht vergessen. Aber für das Projekt und für Molly musste sie vernünftig sein. Pflicht musste vor Misstrauen kommen.
„Vergesst nicht“, erinnerte er sie, „wir sind alle anonym.“
„Bitte, Mum!“
Molly sah sie flehend an. Nell brachte es nicht übers Herz, ihre Tochter zu enttäuschen. Und im Grunde hatte er ja recht. Sie trugen alle Masken und kannten sich eigentlich nicht. Sie würde ihn einfach wie einen Fremden behandeln. Und sie konnte einfach sie selbst sein oder die Person, die sie gerne wäre.
Nell nickte.
Im gleichen Augenblick stürzte eine ältliche Dame in wallendem buntem Kostüm auf sie zu.
„ Bellissima! Was für ein schönes Kind.“
Sie war kostümiert, genau wie Luca, und ihr Gesicht war beinahe vollständig hinter einer mit Pailletten besetzten Maske verborgen. „Soll ich ein Bild von euch machen?“ Sie zeigte auf die Kamera, die an Nells Handgelenk baumelte.
„Nein danke.“ Ein Erinnerungsfoto an Luca war nun wirklich das Letzte, was sie gebrauchen konnte. Oder war sie unhöflich? „Ich möchte keine Umstände machen“, fügte sie schnell hinzu.
„Keine Sorge, es macht mir keine Umstände. Ihr werdet eine wunderschöne Erinnerung mit nach Hause nehmen.“
Ihr Akzent war so sympathisch, dass Nell sie als Italienerin erkannte. Also reichte sie ihr die Kamera.
„Danke, grazie “, sagte sie, als die Frau ihr die Kamera zurückgegeben hatte.
„ Prego .“ Die Frau verschwand mit einem Lächeln in der Menschenmenge.
„Komm jetzt, Molly“, bestimmte Nell. „Ich bin sicher, Signor Barbaro ist mit Freunden hier. Wir dürfen ihn nicht aufhalten …“
„Signor Barbaro? Wer ist dieser Signor Barbaro?“ Luca sah zu Molly auf. „Kennt Ihr ihn, junges Fräulein?“
Glücklich fiel Molly in die Verschwörung ein. „Nie gehört!“
„Ich kann versichern, meine Damen, dass ich voll und ganz zu Ihrer Verfügung stehe.“
„Moment!“ Nell musste einen Schritt zulegen, um mit Luca und Molly auf seinen Schultern mitzuhalten. Am Brunnen hatte sie die beiden eingeholt. Sie griff nach Lucas Arm. „Wir müssen jetzt zum Hotel zurück. Molly gehört längst ins Bett.“
„Aber das große Feuerwerk ist erst um Mitternacht. Bleiben die Damen nicht so lange?“
„Wie sollten wir? Sobald das Festival vorüber ist, werden alle Menschen nach Venedig zurückfahren. Wir werden kein Wassertaxi bekommen …“
„Dann nehmen wir mein Boot …“
„Oh ja!“, rief Molly aufgeregt.
„Das ist unmöglich.“ Nell presste die Lippen zusammen.
„Und warum?“
Tausende von Gründen kamen Nell in den Sinn, als sie ihn anstarrte. Keinen davon konnte sie vor Molly anführen. „Weil wir uns Euch nicht aufdrängen können, signore.“
„Das tut Ihr doch nicht. Es gibt so viele kleine Kanäle kreuz und quer durch die Stadt. Auf dem Wasserweg geht das alles ganz schnell.“
Eine Zeit lang schwiegen sie, während die Party um sie herum weiterging. Nell wusste, um Mollys Willen musste sie gute Miene zum bösen Spiel machen. Immerhin waren sie hier, um sich zu amüsieren.
Nell sah auf. Luca hatte irgendetwas gesagt. „Wie bitte?“
„Ich habe Molly nur erklärt, dass Sie sich im Laden hätten beraten lassen sollen. Ihre Masken sind eigentlich für Männer gedacht. Erlaubt, dass ich da Abhilfe schaffe?“
Ihr Herz klopfte. An dem Ton seiner Worte erkannte Nell, dass er nicht nur von den Masken sprach.
„Ich hab dir doch gesagt, dass sie grässlich sind“, warf Molly ein.
„Nun, ich dachte, sie würden dich etwas über Venedigs Geschichte lehren. Die Pest, und wie sie sich auf Europa auswirkte …“
„Sehr löblich“, bemerkte ihr maskierter Begleiter trocken. „Aber gibt es nicht interessantere, weniger gruselige Geschichten über Venedig, die Molly gerne hören würde?“
„Welche denn?“, fragte Molly neugierig und in der Hoffnung, die Unterhaltung bis zum Feuerwerk ausdehnen zu können.
„Die von Harlekin und Kolombine zum Beispiel.“
„Bitte!“ Molly sah Nell wieder an.
Mit allem kam sie zurecht, doch sie brachte es nicht fertig, Molly eine verständliche Bitte abzuschlagen. Sie wollte einfach keine Spielverderberin sein.
„Ich würde die Geschichte auch gerne hören …“
Es überraschte Luca, wie gerne er das Abenteuer mit den dreien teilen wollte. Nell mit ihrer Tochter zu sehen, rührte ihn an. Sie hatte versucht, den Karneval für Molly
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