JULIA EXTRA BAND 0262
betrachtete sie besorgt. Nachdenklich machte er den Kofferraum zu und ging ums Auto herum, um ihr die Beifahrertür aufzuhalten.
Oh, Hilfe. Die Spannung zwischen ihnen war erstickend. Wenn sie neben ihm sitzen musste, würde es sicher noch schlimmer.
„Kann ich vorn bei dir sitzen, Dad?“
Ein oder zwei Sekunden lang schien Luke die Frage gar nicht zu hören. Bemüht wandte er sich Joey dann zu.
„Kann ich?“, beharrte Joey.
„Du weißt doch, dass Kinder immer hinten sitzen sollten“, erinnerte Erin ihn schnell.
„Deine Mutter hat recht“, sagte Luke.
Joey zog ein Gesicht.
„Ich sitze mit dir hinten, Liebling.“ Weil sie Luke nicht ansah, verpasste Erin seine Reaktion. Dann griff sie nach Joeys Hand. Sie liebte es, ihn zu berühren. Die kleine, warme Hand in der ihren zu spüren spendete Erin Trost.
Bisher waren sie und Joey noch nie länger als ein oder zwei Tage getrennt gewesen. Wenn Erin auf Geschäftsreisen gehen musste, ließ sie ihn bei ihrer Mutter, die nur zwei Häuserblocks weit entfernt wohnte. Der Gedanke, ihren kleinen Jungen zwei Monate lang nicht sehen zu können, schmerzte schon genug. Aber jetzt, da Erin kurz davor war, ihn bei dem Vater zu lassen, den er vergötterte, erschreckte sie diese Realität.
Der Trip nach Warrapinya entwickelte sich für Joey bestimmt zu einem aufregenden Abenteuer. Schließlich war der australische Busch ein unglaubliches Naturphänomen. Bisher hatte Joey noch nichts Vergleichbares gesehen.
Allein der Name Warrapinya löste in Erin alle möglichen Erinnerungen aus. Sie musste an die einmalige, eindrucksvolle Landschaft denken, die sie manchmal inspiriert, genauso oft aber auch erschreckt hatte. Mit Warrapinya verband sie die schönsten und die schrecklichsten Momente ihres Lebens.
Für Joey hingegen würde alles ganz einfach sein. Bestimmt liebte er die Ranch sofort. Und er würde Luke ins Herz schließen, der charmant und unterhaltsam sein konnte, wenn er wollte. Das wusste Erin selbst nur zu gut.
Aber … was, wenn … wenn Joey eine so tolle Zeit mit seinem Vater hatte, dass er nicht zu ihr zurückkommen wollte?
Oh nein! Erin hatte sich geschworen, nichts Negatives zu denken, und schon wurde sie wieder von ihren Ängsten überwältigt. Sie musste sie zurückdrängen, und zwar schnell. Joey liebte sie, das wusste Erin genau. Sie hatten eine wunderbare Beziehung voller Wärme, Freundschaft und Spaß.
Plötzlich merkte sie, wie Luke sie beobachtete. Diesmal konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Keinerlei Gefühl lag in seinem Blick, als er die hintere Autotür für sie öffnete.
„Ich habe euch ein Zimmer in Woolloomooloo reserviert, das liegt in der Nähe des Hafens“, sagte er, setzte sich dann hinter das Steuer und fuhr los.
Am späten Nachmittag herrschte reger Verkehr auf den Straßen. In New York war jetzt Sommer, in Sydney hingegen waren die Leute in dicke Mäntel und Schals gehüllt. Sie eilten über die Gehsteige, um schnell nach Hause in die Wärme zu kommen. Dicke Wolken verhießen Regen. In dem fahlen Licht wirkte die Stadt, die für ihren Hafen berühmt war, nicht besonders einladend.
Aber nichts konnte Joeys Glück trüben. Er lehnte sich vor und zog am Sicherheitsgurt, um Luke besser beobachten zu können.
Erin schloss die Augen und ließ sich in die luxuriösen weichen taubengrauen Polster des Wagens sinken. Sie fühlte sich sehr müde. Erschöpft von den Anstrengungen der Reise, von der Spannung in der Luft. Der lange Flug lag hinter ihnen, da hatten sie ihr Gepäck holen müssen, waren durch die Sicherheitssperren, die Einwanderungsstelle und den Zollbereich gegangen.
Schließlich erwartete Erin die Tortur des Wiedersehens mit Luke.
Ohne Vorwarnung musste Erin plötzlich an das letzte Mal denken, als sie sich gesehen hatten. Mit dem schreienden Joey im Arm hatte sie Luke und Warrapinya damals verlassen.
Es war schrecklich gewesen, das Schlimmste, was sie jemals erlebt hatte. In ihren Träumen hatte sie es viele Hundert Mal wieder erlebt. Beim Aufwachen war sie jedes Mal zitternd und in Tränen aufgelöst. Selbst jetzt erschütterte Erin die Erinnerung.
Sie hatte auf der obersten Stufe der Veranda des Gutshauses gestanden. Ihre Koffer waren gepackt, Tränen liefen ihr die Wangen herunter. Sie wartete auf Nails, den Aborigine, der auf der Ranch als Mädchen für alles arbeitete. Er sollte sie nach Cloncurry zum nächsten Flughafen bringen.
Aber bevor Nails erschien, tauchte Luke plötzlich wie aus dem Nichts
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