JULIA EXTRA BAND 0262
Sehnsucht, Luke besser kennenzulernen, eine Tatsache war, wusste Erin schon eine ganze Weile. Damit müsste sie umgehen lernen. Aber heute Morgen erkannte sie, wie schnell die beiden bereits zueinander gefunden hatten. Joeys starke Gefühle für seinen Vater und für Warrapinya erschreckten sie. Was sollte sie machen, wenn ihr Sohn in New York nie mehr glücklich wurde?
„Kommst du mit?“, fragte Joey.
„Nein, Liebling, ich fahre wieder nach Sydney.“
„Warum kannst du nicht mitkommen?“
Sie seufzte. „Das habe ich dir doch schon erklärt. Diese Ferien sind dazu da, damit ihr beide euch besser kennenlernt.“
In einem letzten Versuch wandte Joey sich an Luke. „Du hättest doch nichts dagegen, wenn Mom mit uns nach Warrapinya kommt, oder?“
Luke warf Erin einen vorsichtigen Seitenblick zu. „Möchtest du das denn?“
„Nein, danke.“ Sie hatte den Eindruck, dass Joey sie verkuppeln wollte.
„Du weißt, dass du herzlich willkommen bist“, meinte Luke. „Ein paar Tage würden ja auch reichen. Du könntest dich mit eigenen Augen davon überzeugen, wie gut Joey sich eingelebt hat. Bestimmt fällt es dir dann leichter, deine Ferien zu genießen.“
„Ich … ich weiß nicht“, erwiderte sie schwach. Sie merkte, wie ihr Widerstand zu bröckeln begann. „All meine Kleider sind noch in Sydney.“ Das war kein starkes Argument, denn die Kleidungsstücke, die Erin mitgebracht hatte, waren sowieso nicht passend für den Busch.
Luke räusperte sich. „Mach dir deswegen keine Sorgen. Auf der Ranch gibt es immer noch eine Menge alter Hemden und Jeans von dir.“
„Wirklich?“ Sie konnte es kaum glauben. „Ich dachte, die hättest du längst weggeworfen.“
Er zuckte die Schultern. „Irgendwie bin ich nie dazu gekommen.“ Er sah sie an und lächelte. „Du hast immer noch die Figur eines jungen Mädchens. Bestimmt passen sie dir noch.“
Zu ihrem Ärger errötete sie. Verlegen wandte sie sich ab.
War es eine gute Idee, nach Warrapinya zu fahren?
Doch als Erins Blick auf Joey fiel, der mit großen Augen auf ihre Antwort wartete, gab sie sich einen Ruck.
„Joey, wenn ich wirklich mitkomme, ist dir doch hoffentlich klar, dass es nur für ein paar Tage sein wird, nicht wahr?“
Der Junge nickte glücklich.
„Danach fliege ich zurück nach Sydney und hinterher in die Byron Bay, um endlich Urlaub zu machen, okay?“
„Ja, das ist cool“, erwiderte er und grinste seinen Vater an.
Eine Schrecksekunde lang fragte Erin sich, ob die beiden sich gegen sie verschworen hatten. Aber noch bevor sie fragen konnte, erschien schon die Krankenschwester und forderte sie auf, Joeys Sachen zusammenzupacken.
8. KAPITEL
War sie verrückt geworden?
Erin fuhr zurück nach Warrapinya, dem einzigen Ort auf der ganzen Welt, an den sie geschworen hatte, niemals zurückzukehren.
Das erste Mal hatte Erin die sonnenverbrannten weiten Ebenen als hoffnungsvolle junge Braut gesehen, voller Hoffnung und romantischer Träume. Bis über beide Ohren war sie in ihren attraktiven Ehemann verliebt gewesen und jedes Mal schwach geworden, wenn sie sich berührten.
Wenn Erin ehrlich war, hatte sich daran nichts geändert. Der Unterschied bestand allein darin, dass sie sich damals bei jeder Gelegenheit angefasst hatten.
Während jetzt …
Als sie jetzt in Lukes kleinem Flugzeug auf dem Weg nach Westen saß, wurden Erins Augen plötzlich ganz feucht. Sie musste schlucken.
Wie naiv sie damals gewesen war, als sie Luke geheiratet hatte. Ihre Vorstellung vom Leben im australischen Busch konnte man nur romantisch nennen. Ein Dasein wie im Bilderbuch hatte Erin sich ausgemalt: eine gemütliche Küche voller Regale, auf denen Gläser mit selbst gemachter Marmelade standen, Betten mit Federkissen in Schlafzimmern, die nach Lavendel dufteten – die reine Landluft, die ihre Lungen erfüllte, während Erin draußen die Wäsche an die Leine hängte.
All das gab es tatsächlich in Warrapinya. Aber es war nicht halb so schön, wie sie erwartet hatte, als sie dort lebte. Auf die Einsamkeit und das Gefühl, nicht dazuzugehören, hatte sich Erin nicht vorbereitet.
Im Busch interessierte sich niemand für Modeschmuck – ihr Beruf kam den Menschen dort anstößig und unpassend vor. Dabei hatte Erin sich große Mühe gegeben, allen zu beweisen, dass sie der Aufgabe gewachsen war. Genauso kompetent wie die anderen Frauen wollte sie sein. Mit ihrem Organisationstalent sollte es ihr bestimmt gelingen, die Farm zu managen und Luke eine gute
Weitere Kostenlose Bücher