JULIA EXTRA BAND 0262
Frau zu sein.
Leider hing im Busch alles von der Natur ab. Und ließ sich als Einziges nicht kontrollieren. Außerdem mussten oft große Entfernungen zurückgelegt werden, wollte man beispielsweise etwas kaufen. Auch daran konnte Erin sich nie gewöhnen.
Nach Joeys Geburt war sie eine vergleichsweise nervöse junge Mutter. Am liebsten wäre sie jedes Mal in die Apotheke gerannt, wenn ihr Baby auch nur schniefte. Zu Hause in New York gab es an jeder Ecke zumindest eine Drogerie.
Schreckliches Heimweh quälte Erin, ihre Mutter und Angie fehlten ihr sehr.
Dazu kam, dass Joey ein schwieriges Baby war – er aß kaum und schlief nicht besonders gut. Außerdem weinte er die meiste Zeit. Erin war dementsprechend oft müde und gereizt.
Als sie Luke heiratete, hatte sie gehofft, seine entspannte Haltung übernehmen zu können. Aber dadurch, dass er versuchte, die Sorgen mit einem Scherz zu überspielen, wurde Erin noch gereizter.
Irgendwann war sie dann sogar neurotisch geworden. Doch das wurde ihr erst im Nachhinein klar. Sie hatte viele Bücher über Kinderkrankheiten gelesen und lebte in ständiger Angst, dass Joey sich irgendwelche Viren und Infektionen einfing. Was Erin gebraucht hätte, waren Frauen, die selbst Kinder zur Welt gebracht hatten.
Sie freundete sich damals mit Gracie an, einer Aborigine, die mit Nails verheiratet war. Leider hatte Gracie keine eigenen Kinder, daher konnte sie Erin nur bedingt helfen.
Immer wieder versuchte Luke, sie aufzuheitern. Seiner Meinung nach gab es kein Problem, das durch zärtliches Kuscheln nicht geheilt werden konnte. Nur dass Erin darauf irgendwann nicht mehr ansprach.
Was er für eine Komödie hielt, betrachtete Erin als Tragödie.
Er schien immer mehr Zeit außerhalb der Farm zu verbringen, bis Erin den Eindruck hatte, dass Luke lieber bei seinem Vieh war als bei ihr.
Eines Tages wurde es ihr dann einfach zu viel. Sie hatte mit der Isolation, der Angst um Joeys Gesundheit und dem Verlust von Lukes Liebe einfach nicht mehr umgehen können.
Am Ende sah sie gar keine andere Möglichkeit. Es wäre das Beste für alle, wenn Erin gehen würde.
„Wir landen gleich“, rief Luke ihr in diesem Moment zu. „Wenn du nach rechts schaust, kannst du die Bäume am Fluss und dann die Farm sehen.“
Erin blickte aus dem Fenster. Überrascht erkannte sie, dass die lange Reihe der hohen Pappeln am Fluss sie berührte. Dann erblickte sie die altvertrauten Windmühlen. Und schließlich kam das flache rote Zinndach der Farm in Sicht, umgeben von fahlgelbem Weideland, auf dem Kühe grasten.
Zehn Minuten später landeten sie.
Am Ende der Flugbahn erklangen laute Schreie. Drei kleine blonde Jungen in Cowboykleidung sprangen auf und ab, umgeben von fünf jungen Labradors.
Als Joey aus dem Flugzeug stieg, wurde das Begrüßungsgeschrei noch lauter.
„Die Ärzte haben Fotos davon gemacht, wie es in meinem Kopf aussieht“, erzählte Joey seinen Cousins stolz.
„Und, haben sie ein Gehirn gefunden?“, erkundigte sich der älteste der Jungen, und alle bogen sich vor Lachen.
„Komm schon, Mommy, ich muss dir so viel zeigen“, rief Joey.
„Ich kann es kaum erwarten“, erwiderte Erin.
„Hey, Moment“, rief Luke ihm hinterher, als der kleine Junge mit den anderen davonstürmen wollte.
Gleichzeitig blieben Jungen und Hunde stehen und drehten sich um.
„Du kannst noch nicht gleich wieder herumtoben“, sagte Luke. „Schließlich kommst du gerade aus dem Krankenhaus. Vergiss nicht, du hattest einen schlimmen Unfall und hast uns alle zu Tode erschreckt. Eigentlich hätte ich dich bestrafen sollen, weil du meine Anordnungen nicht befolgt hast.“
Joey nickte betroffen, und auch die anderen Jungen wirkten plötzlich sehr niedergeschlagen.
„Also, laufen ist verboten“, meinte Luke. „Du musst die Dinge langsam angehen lassen.“
Erin bewunderte seine Souveränität. Luke hatte auf jeden Fall Talent zum Vater. Manchmal war sie Joey gegenüber einfach zu nachgiebig und hätte Unterstützung gut gebrauchen können.
Als sie gemeinsam über den Rasen auf die Farm zugingen, wirkte Luke jedoch plötzlich angespannt.
Sie näherten sich der Veranda. Erin spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Unwillkürlich musste sie an ihren letzten Tag auf der Farm denken. Im Geist sah Erin, wie die Blüten von Lukes Strauß damals über die Holztreppe verstreut lagen.
Ein Blick zu ihm bewies ihr, dass auch er sehr bewegt war.
Sie wollte etwas sagen, wollte erklären, dass sie wusste,
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