JULIA EXTRA BAND 0262
erinnerte er sie in jenem Moment an ihren Adoptivvater, der es immer wieder geschafft hatte, seine Tochter auf diese Weise mundtot zu machen.
Nun, für Eleni stand schon vor Antritt ihrer Reise fest, ihre Entscheidungen in Zukunft allein zu treffen, und von dem Pfad würde sie sich auch nicht von diesem zugegebenermaßen charismatischen, aber schrecklich überheblichen Griechen abbringen lassen.
„Nein, Lysander“, sagte sie fest. „Ich denke, ich weiß besser, was in dieser Situation gut für mich ist. Tut mir leid, wenn meine Entscheidung dir nicht gefällt.“ Während sie ihr anscheinend überzeugtes Statement abgab, wünschte sich Eleni nichts sehnlicher, als den Mut zu haben, Lysander ihre Kümmernisse anzuvertrauen.
Lysander hatte keine Sekunde damit gerechnet, ein zweites Mal von Eleni abgewiesen zu werden, doch als er in ihre schönen braunen Augen schaute, erstarb sein Protest vor der Aufrichtigkeit und Entschlossenheit in ihrem Blick.
Draußen auf dem Boot schien sie nur zu bereit gewesen zu sein, sich ihm hinzugeben … was war inzwischen geschehen?
Ob sie erfahren hatte, wer er wirklich war? Wies sie ihn deshalb ab, weil sie sich hintergangen fühlte? Entgegen seiner früheren Entscheidung, für sie nur der einfache Fotograf zu sein, verspürte Lysander plötzlich das überwältigende Bedürfnis, die Macht und den Einfluss seines Familiennamens zu gebrauchen, um Eleni in sein Bett zu zwingen.
Aber nein, das würde nicht im Geringsten seinem Charakter und seiner Überzeugung entsprechen. Außerdem wollte er von ihr um seiner selbst willen gemocht werden und nicht wegen seines Reichtums. Vielleicht wollte er auch nicht herausfinden, ob diese zauberhafte junge Engländerin sich durch Geld blenden und bestechen ließ. Über diese Enttäuschung würde er nur schwer hinwegkommen.
Scheinbar achtlos zuckte er die Schultern. „Gut. Es scheint dir schwerzufallen, Hilfe anzunehmen, das ist mir jetzt klar. Du denkst, das es dein Leben komplizieren würde, mich weiterhin zu sehen, doch ich glaube, ich könnte dir helfen, dass du dich besser fühlst … jedenfalls für eine Weile.“ Er lächelte ihr freundlich zu. „Vielleicht überdenkst du deine Entscheidung morgen, nachdem du ausgeschlafen hast, noch einmal und stellst fest, dass du dich geirrt hast. Mich würde es jedenfalls freuen. Falls du mich in der Zwischenzeit erreichen möchtest … hier ist meine Adresse auf der Insel.“ Er zog ein Streichholzbriefchen aus der Hosentasche, griff nach einem Stift, der auf dem Nachttisch neben ihrem Bett lag und kritzelte etwas auf die Rückseite.
Als Eleni die Adresse stumm entgegennahm, hielt er ihre Hand einen Moment mit seiner umschlossen. „Ich weiß sehr gut, wie sich Kummer und Sorgen anfühlen, Eleni. Man könnte sogar sagen, dass ich eine Art Experte auf diesem Gebiet bin. Was auch immer für Geheimnisse du mit dir herumschleppst, ich versichere dir, dass sie bei mir sicher sind.“
Eleni starrte immer noch auf seine kühnen Schriftzüge, nachdem sich die Tür schon lange hinter Lysander geschlossen hatte.
Als Eleni am nächsten Morgen in einem Café saß und an ihrem Milchkaffee nippte, fiel ihr eine alte Griechin auf. Sie trug ein schlichtes Baumwollkleid mit verblasstem Blumenmuster und um den Kopf ein schwarzes Tuch. Ihre edlen Züge waren vom Alter gezeichnet, doch die dunklen Augen funkelten lebhaft wie bei einem jungen Mädchen.
An ihrem braun gebrannten dürren Arm schwang ein Korb, gefüllt mit Früchten und Gemüse, und während sie an Elenis Tisch vorbeiging, hielt sie einen Büschel wilden Majorans an ihre Nase und sog mit geschlossenen Augen den würzigen Duft ein. Und dann verklärte ein Lächeln ihr Gesicht, das Mona Lisa alle Ehre gemacht hätte.
Fast wäre Eleni aufgesprungen und hätte die alte Frau aufgehalten, um mit ihr zu reden, so groß war die Sehnsucht, etwas über sie und ihr Leben zu erfahren.
Ob ihre griechische Großmutter ähnlich aussehen könnte?
Nachdem die Frau aus ihrem Blickfeld verschwunden war, rührte Eleni geistesabwesend in ihrem kalten Kaffee.
Ich weiß, wie sich Kummer und Sorgen anfühlen. Man könnte sogar sagen, dass ich eine Art Experte auf diesem Gebiet bin …
Was hatte Lysander damit gemeint?
Lysander legte die Kamera zur Seite und starrte von seinem erhöhten Posten gedankenverloren auf die jungen Leute hinab, die unter fröhlichem Lachen und Geplauder vom Hafenkai aus tollkühne Kopfsprünge vollführten, um im kristallklaren Wasser zu
Weitere Kostenlose Bücher