JULIA EXTRA BAND 0263
Sie schrie immer noch. In den hohen Räumen des Palazzos klang es noch lauter als draußen im Garten. Sein Schienbein schmerzte von den Tritten, die er von Pia abbekommen hatte, und sein Herz sank, weil er sich wie ein kompletter Versager vorkam.
Wie konnte ein erwachsener Mann voller Selbstzweifel sein, wenn es um seine eigene Tochter ging?
Maria näherte sich vorsichtig. „Möchten Sie, dass ich die Kleine nehme, Signor di Bartoli?“ Sie hatte sieben eigene Kinder und war mittlerweile zwölffache Großmutter. Sie wusste das eine oder andere in Erziehungsfragen.
Doch sein Stolz ließ nicht zu, dass Gino den leichten Ausweg wählte, so wie am Abend zuvor, als Maria Eiscreme vorgeschlagen hatte.
„Ich kümmere mich selbst darum“, sagte er. Oder vielmehr brüllte er es, um Pias Geschrei zu übertönen. „Wir gehen jetzt rauf in ihr Zimmer.“
„Francesco hat angerufen.“
„Ich rufe zurück.“
„Für Dr. Madison.“
„Ah.“
Es hatte keinen Sinn, bei diesem Lärm mehr Informationenbekommen zu wollen. Er trug Pia auf ihr Zimmer und hielt sie fest, wobei er darauf achtete, ihr nicht wehzutun. Nach etwa einer Stunde hatte sie sich so weit erschöpft, dass sie ruhig wurde und einschlief. Gino steckte sie ins Bett und betrachtete ihr friedliches, engelsgleiches Gesicht.
„Das wird nicht noch einmal passieren“, murmelte er. „Ich gehe nicht richtig an die Sache heran, nicht wahr, mein kleines Mädchen?“
Er beugte sich hinunter und gab ihr einen Kuss, dann schlich er sich auf Zehenspitzen aus dem Raum. Er hatte keinen Plan B in der Tasche, aber er würde nicht weiterhin eine Methode anwenden, die so offensichtlich nicht funktionierte.
Als er die Treppe hinunterkam, sah er, dass ein spätes Mittagessen serviert war und Dr. Madison bereits am Tisch saß. Er setzte sich ihr gegenüber.
„Ich habe mir meine Aufzeichnungen angesehen – wir können das Konzept ändern und müssen dabei nur wenig umbestellen“, erklärte die Amerikanerin.
„Das ist großartig.“ Er wusste, dass keine Spur Begeisterung in seinem Ton lag, aber er war einfach zu erschöpft.
Dr. Madison dagegen schien vor Energie nur so zu strotzen. Es war, als würde sie von innen heraus glühen. Das tiefe Blau ihrer Augen wirkte noch strahlender, und ihre Wangen hatten einen rosigen Schimmer.
Stimmt, erinnerte sich Gino. Sie hat mit Francesco gesprochen. Was hatte sein Bruder gesagt? Irgendetwas, mit dem er ihr geschmeichelt und sie erregt hatte, so viel stand fest.
„Geht es Pia gut?“, fragte sie, so, als hätte sie Francesco gar nicht im Kopf.
„Sie schläft.“
„Nun, das würden wir alle tun nach einer solchen Vorstellung, das arme kleine Ding!“
„Sie finden also, dass sie zu bedauern und nicht zu bestrafen ist?“
„Sie sind an meiner Meinung doch gar nicht interessiert, oder?“
„Warum sollte ich Sie sonst fragen?“
„Weil Sie mir gestern noch gesagt haben, dass es mich nichts angeht. Heute müssen Sie schon arg verzweifelt sein.“ Sie hob eine Augenbraue, neugierig, wie er auf ihre frechen Worte reagierenwürde.
„Es macht Ihnen sehr viel Spaß, frei von der Leber weg zu reden, nicht wahr?“
„Ja, das wurde mir schon einige Male nachgesagt.“
„Von vielen Leuten, wie ich vermute.“
„Hauptsächlich von meinem Exmann.“
Oh, einen solchen hatte sie also auch. Wusste Francesco davon? Normalerweise bevorzugte er Frauen, die frei von Komplikationen dieser Art waren.
„Und Sie finden, dass Ihr Exmann sich getäuscht hat?“ Gino wusste wirklich nicht, warum er dieses Thema weiterverfolgte.
Um Francescos willen?
„Nein, ich bin sicher, dass er recht hatte. Wie in den meisten Dingen, die er über mich gesagt hat. Als ich einen Fehler zu viel gemacht habe, hat er mich verlassen.“
Grund Nummer einundzwanzig: „Du hast vergessen, meine Sechshundert-Dollar-Skijacke aus der Reinigung zu holen, und jetzt haben sie Bankrott gemacht, und alles wurde verkauft, um die Gläubiger auszuzahlen, und das, Rox, ist das Ende, soweit es mich betrifft. Es ist vorbei.“
Naiv wie sie war, hatte Rox erst kapiert, dass auch noch eine andere Frau im Spiel war, als Harlan schon bei ihr eingezogen war.
„Ich habe Angele verlassen“, sagte Gino. Dann erschien einer dieser Warumin-aller-Welt-habe-ich-das-jetzt-gesagt-Blicke auf seinem Gesicht.
„Weil sie zu viele Fehler gemacht hat?“
„Nein, weil ich … wir haben uns beide … gelangweilt.“
„Sie hätten einem gemeinsamen Hobby nachgehen sollen.
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