JULIA EXTRA BAND 0263
werden.“
Es kostete sie Überwindung, sich wieder in ihren normalen Arbeitsalltag einzufinden. Gil rief jeden Tag an, und sie tröstete sich mit dem liebevollen Klang seiner Stimme, aber er erwähnte nie ein konkretes Datum für seinen nächsten Besuch.
Eines Morgens eine Woche nach ihrer Rückkehr hatte Jane eine Notiz ihrer Sekretärin auf dem Schreibtisch: „Mr. Morgan hat sich für elf Uhr zu einem Treffen mit Ihnen angekündigt.“
Oh! Henry Morgan machte sie immer nervös. Er hatte ihr die vier Wochen Urlaub zwar genehmigt, aber sein persönliches Erscheinen deutete Jane als schlechtes Omen.
Pünktlich um elf Uhr betrat er ihr Büro. Der sehr strenge, oft arrogant wirkende Mittfünfziger lächelte zu Janes Erstaunen.
„Ich grüße Sie, Miss Landers, Gratulation! Sie haben Ihr Licht unter den Scheffel gestellt. Ihre Methoden mögen unkonventionell sein, aber auch eine alteingesessene Bank muss mitder Zeit gehen, wenn es darum geht, den Profit zu maximieren. In der Zentrale bewundern wir die geschickte Art, mit der Sie diesen großen Fisch an Land gezogen haben.“
„Mr. Morgan, ich kann Ihnen nicht folgen. Welchen ‚großen Fisch‘?“
„Nun, ich spreche von Dane & Son. Sie werden doch wohl nicht behaupten, noch nie von ihnen gehört zu haben.“
„Natürlich kenne ich sie – einer der größten Börsenmakler in London –, aber was hat das mit mir zu tun?“
„Das fragen Sie, nachdem Sie gerade einen Monat mit dem Juniorpartner Gilbert Dane verbracht haben?“
„Ich kenne keinen Gilbert Dane. Ich bin im letzten Monat mit Gil Wakeham umhergereist …“
„Wakeham ist der Mädchenname seiner Mutter. Den Namen hat er benutzt? Interessant. Er ist wohl ein wenig exzentrisch.“
„Das muss ein Irrtum sein“, erwiderte Jane entschieden. Aber schon während sie das aussprach, kamen ihr Zweifel.
„Sie wollen doch damit nicht sagen, dass Sie seine wahre Identität nicht kannten? Ach, jetzt wird mir alles klar. Er hat Sie darum gebeten, seine Anonymität zu wahren. Dann will ich Sie nicht länger damit belasten – Sie haben jedenfalls nichts verraten. Dane & Son geben heute Abend einen Empfang, und ich möchte, dass Sie mich dorthin begleiten. Die Firma beabsichtigt, einen Teil ihrer Geschäfte von Kells abwickeln zu lassen.“
Mr. Morgan kramte in seiner Aktentasche. „Hier, ich habe Ihnen eine Akte mit Zeitungsausschnitten mitgebracht. Lesen Sie sich alles gründlich durch. Ich hole Sie dann um sieben Uhr ab.“
Er verschwand und ließ Jane sprachlos zurück. Dann sagte sie ihrer Sekretärin, dass sie nicht gestört werden wolle, und widmete sich der Akte.
Gleich auf der ersten Seite starrte ihr ein Bild von Gil entgegen. Jünger, konservativ gekleidet und mit kürzeren Haaren, aber eindeutig Gil.
Das Foto gehörte zu einem Artikel aus einem Finanzmagazin, in dem sein Werdegang geschildert wurde. Sie musste feststellen, dass sich hinter der Fassade des Clowns und Anarchisten ein nüchterner, respektabler und cleverer Geschäftsmann verbarg, der einen Abschluss in Betriebswirtschaft hatte.
In einem Artikel aus einem Lifestyle-Magazin wurde mehrauf Gils Privatleben eingegangen. Daraus ging hervor, dass er keineswegs knapp bei Kasse war. Die dreitausend Pfund, die Jane ihm geliehen hatte, waren Peanuts für ihn.
Aber das Schlimmste kam noch. Als Jane umblätterte, fand sie auf der nächsten Seite ein Foto von ihm im Smoking, das während eines gesellschaftlichen Ereignisses aufgenommen worden war. Neben ihm stand eine junge Frau im Abendkleid, die ihn mit dem rechten Arm besitzergreifend untergehakt hatte. Am Ringfinger ihrer linken Hand prangte ein sehr großer, auffälliger Ring. Die Bildunterschrift lautete:
Gilbert Dane und seine bildschöne Verlobte, Constance Allbright, Tochter des Millionärs Brian Allbright. Die Hochzeit wird zwei der ältesten Familien der Stadt miteinander vereinen.
Jane fühlte sich elendig betrogen. Gil war verlobt, vielleicht sogar verheiratet. Er hatte ein herzloses, zynisches Spiel mit ihr getrieben. Warum?
Nachdem der erste Schock verflogen war, breitete sich eine große Wut in ihr aus, und sie begann, sich auf den vor ihr liegenden Abend vorzubereiten.
Um sieben Uhr war sie fertig, elegant gekleidet in ein eng anliegendes schwarzes Cocktailkleid, das ihre blonden Haare und ihre helle Haut vorteilhaft zur Geltung brachte. Darüber trug sie einen schwarzen Abendmantel aus Samt. Kleine Diamantstecker zierten ihre Ohrläppchen. Sie hatte sich
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