JULIA EXTRA BAND 0269
erholen und zu beruhigen, und bezweifelte, dass sie momentan imstande war, überhaupt irgendetwas zu tun.
„Warum hast du mir das nicht schon längst erzählt, Caroline?“ Was ihr Vater mit ihr gemacht hatte, war so ungeheuerlich, dass Jack es erst einmal verarbeiten musste. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen, sie getröstet und ihr versprochen, sie nie wieder allein zu lassen. Aber das stand ihm nicht zu. Er war derjenige, der vor siebzehn Jahren einen schweren Fehler gemacht hatte, nicht Caroline, wie er fälschlicherweise geglaubt hatte. Er hatte sie verraten, weil er sich nicht die Zeit genommen hatte, die Wahrheitherauszufinden. Stattdessen hatte er kurz entschlossen seine Sachen gepackt und war in die USA geflogen.
Er hatte sie verurteilt und für schuldig befunden, obwohl sie unschuldig war. In dem Moment, als er sie verließ, hatte er das Recht verwirkt, Caroline zu trösten. Er hatte sich seinen Traum von Reichtum und Respekt erfüllen wollen. Niemand sollte mehr auf ihn herabsehen, und er wollte nie wieder in Armut leben müssen. Das war ihm gelungen, dennoch hatte er keine Ruhe und keinen inneren Frieden gefunden, sondern sich nach etwas gesehnt, was viel wertvoller war als alle materiellen Besitztümer. Leider hatte er es seinem Ehrgeiz geopfert. Caroline hatte recht, sein Vermögen machte ihn nicht glücklich.
Jack erinnerte sich an den Abend, als sie zu ihm gekommen war und ihm erzählt hatte, dass sie die Schwangerschaft hatte abbrechen lassen. Nachdem er zunächst nichts von ihr gehört hatte, war er zu ihrem Haus gegangen, um sich nach ihr zu erkundigen. Doch ihr Vater hatte ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen, und Jack war außer sich gewesen vor Sorge. Ihm fiel ein, wie schmerzerfüllt und traurig Carolines Blick gewesen war, als sie zwei Tage später dann endlich vor ihm gestanden hatte. Ihm war auch der blaue Fleck an ihrem Kinn aufgefallen. Aber Caroline behauptete, es sei nichts Schlimmes, sie hätte sich gestoßen, als sie es eilig gehabt und nicht aufgepasst hatte. War sie etwa vor ihrem Vater davongelaufen, um zu vermeiden, dass er sie noch einmal zusammenschlug?
Die Vorstellung fand Jack unerträglich. Er ballte die Hände zu Fäusten. Dieser verdammte Kerl. Wenn er noch lebte, würde ich ihm wer weiß was antun und gern dafür ins Gefängnis gehen, dachte Jack vollkommen erbost.
Caroline seufzte. „Du warst gar nicht bereit, mir zuzuhören, deshalb habe ich es dir nicht erzählt“, antwortete sie. „Du warst dir so sicher, immer recht zu haben. Außerdem wolltest du unbedingt dein Glück woanders machen. Nachdem du mich verlassen hattest, habe ich mir gesagt, es sei wahrscheinlich das Beste. Wenn ich das Kind bekommen hätte, hättest du dich verpflichtet gefühlt, hierzubleiben. Doch das hätte deine Pläne zunichtegemacht. Übrigens, mein Vater hat nicht nur auf dich herabgeblickt, sondern auch auf mich. Ich war eine große Enttäuschung für ihn. Ich wollte mich von ihmnicht verbiegen lassen und bin meinen eigenen Weg gegangen. Schließlich sind wir zu einer stillschweigenden Übereinkunft gelangt, und er hat nicht mehr versucht, sich in mein Leben einzumischen. In seinem Testament hat er mich sogar zur Alleinerbin seines gesamten Vermögens eingesetzt … vielleicht als eine Art Wiedergutmachung.“
„Es wundert mich, dass du in dem Haus leben kannst“, stellte Jack verbittert fest. Er wusste nicht, wie er mit der Reue, dem Bedauern und der tiefen Traurigkeit, die er empfand, umgehen sollte. Vermutlich hatte er den größten Fehler seines Lebens gemacht, als er Caroline im Stich ließ. Ihren Vater hielt er für einen überaus gemeinen Menschen, doch vielleicht war er selbst nicht viel besser.
„Ich habe mir gesagt, wenn meine Mutter noch lebte, hätte sie sich gewünscht, dass ich in dem Haus wohne. Alle Kinder lieben ihre Eltern und sehnen sich nach ihrer Zuneigung und Anerkennung. Um sie zu bekommen, nehmen sie sogar Misshandlungen in Kauf. Ich habe meinem Vater auf seinem Sterbebett verziehen. Den Tod meiner Mutter hat er nie verkraftet, er war ein unglücklicher und trauriger Mensch. Nur deshalb hat er mich so behandelt.“
„Dein Verständnis und dein Mitgefühl sind bewundernswert, Caroline. Aber ich muss zugeben, ich kann deine Einstellung nicht verstehen.“
„Nun …“ Sie verstummte und hatte das Gefühl, er verurteile sie schon wieder und zweifle an ihrem Verstand. Es wäre sicher das Beste, sie würde sich verabschieden und gehen. Sie
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