JULIA EXTRA BAND 0272
sogar aufgefordert, wieder zu verschwinden. Wohin hätte er fahren sollen? Zu seiner Familie hatte er schon seit Ewigkeiten keinen Kontakt mehr. Er hätte in das verlassene Haus nach Washington zurückkehren können oder in ein Krisengebiet irgendwo auf der Welt.
Weihnachten ist das Fest der Liebe, dachte sie, und auch wenn unsere Ehe wohl nicht zu retten ist, sollte ich aus Freundschaft dafür sorgen, dass es zu einem letzten gemeinsamen frohen Fest wird.
„Jake?“
Er drehte sich um. „Ich dachte, du wärst im Bett.“
„Nein. Ich wollte mich nur etwas ausruhen und habe gelesen. Warum hast du damit nicht bis morgen gewartet? Wir hätten es zusammen machen können.“
„Ja? Ich habe eher den Eindruck, dass du nichts mit mir zutun haben möchtest.“ Er wandte sich wieder dem Baum zu. „Und dass ich mich selbst darum kümmern sollte, wenn ich ihn geschmückt sehen will.“
Cath schlenderte zum Couchtisch, auf dem lauter geöffnete Schachteln mit Weihnachtsdekorationen standen. „Ich kann dir helfen.“
Er blickte sie an und schüttelte den Kopf. „Nicht wenn es dir eine lästige Pflicht ist. Ich kenne mich mit Feiertagen zwar nicht so aus, habe sie normalerweise arbeitend verbracht, weiß aber, dass man sie mit Freude begehen sollte.“
„Weihnachten ist seit jeher mein Lieblingsfest.“ Ihre Eltern hatten es immer wunderbar gestaltet.
„Wie schon gesagt, ist es für mich eigentlich ein Tag wie jeder andere.“
„Aber früher war es sicherlich ein besonderer Tag, oder?“ Sie beobachtete, wie sich seine Miene verfinsterte, und verwünschte ihre spontane Frage.
„Vielleicht als ich noch klein war. Nach dem Tod meines Dads hat sich alles geändert.“
Ja, das hatte es zweifellos. Seiner Mutter war die neue Familie wichtiger geworden als ihr Erstgeborener. Auch hatte sie sich stets auf die Seite ihres zweiten Ehemanns gestellt, der zu seinem Stiefsohn ein schlechtes Verhältnis gehabt hatte. Als Jake nach dem Schulabschluss ein Stipendium erhalten hatte, war er von zu Hause ausgezogen und nie mehr dorthin zurückgekehrt.
Wie anders war es bei ihr gewesen. Ihre Eltern hatten ihr ein Leben lang das Gefühl vermittelt, geliebt zu werden. Genauso wie Jake es zu Beginn ihrer Ehe getan hatte – und es noch tun konnte.
„Was ist?“, erkundigte er sich, als er ihren nachdenklichen Blick bemerkte.
„Ich habe an frühere Zeiten gedacht“, antwortete sie leise. „Wir haben so gut angefangen. Warum ist es schiefgelaufen?“
„Es ist nichts schiefgelaufen.“
„Doch, das ist es.“ Sie wandte sich den Schachteln zu, um sich eine Übersicht zu verschaffen, welche Schätze sie bargen. „Wenn du gleich mit den Lichterketten fertig bist, hänge ich den Baumschmuck auf“, erklärte sie und machte sichdaran, eine Vorauswahl zu treffen. Das würde sie zumindest teilweise von ihren melancholischen Gedanken über Jake und sich ablenken.
Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, während sich Cath seiner Gegenwart immer bewusster wurde. Schließlich waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt, und sie meinte, jeden Moment die Beherrschung zu verlieren.
„Wir brauchen Weihnachtslieder“, sagte sie schließlich. Suchend sah sie sich im Raum um, entdeckte aber weder ein Radio noch einen CD-Player.
„Wenn ich mich nicht irre, sind in dem Raum neben dem Esszimmer ein paar Schallplatten“, sagte Jake.
„Schallplatten?“
„Ich schätze, deine Tante war etwas altmodisch. Was ich eigentlich nicht vermutet hätte.“
Jake und Tante Sally hatten sich auf der Hochzeit kennengelernt und auf Anhieb gemocht. Im ersten Jahr ihrer Ehe waren sie über ein langes Wochenende bei ihr gewesen. Danach hatte er leider nie wieder Zeit für einen Besuch gehabt.
Ja, Tante Sally hatte eine beachtliche Plattensammlung, inklusive mehrerer LPs mit Weihnachtsliedern, wie Cath wenig später erfreut feststellte. Binnen Kurzem hatte sie den Plattenspieler im Wohnzimmer aufgebaut, und von festlichen Klängen begleitet, schmückten Jake und sie dann gemeinsam den Baum.
Zufrieden betrachteten sie schließlich ihr Werk, als Jake sie plötzlich in die Arme zog und sich mit ihr zu drehen begann.
„Was tust du?“ Überrascht blickte sie ihn an.
„Tanzen“, antwortete er, während er sich weiter im Takt mit ihr wiegte.
Sie lachte. „‚Silver Bells‘ ist kaum eine geeignete Tanzmusik.“
„Ist es wohl. Wir tanzen, oder?“
Ja, und es machte riesigen Spaß. Sie tanzte so gern, hatte während ihrer Ehe jedoch kaum
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