JULIA EXTRA BAND 0273
die Haushälterin Laurel auffordernd zunickte, folgte diese Penny. Doch der Gedanke an das Gespräch, dass die ältereFrau und Mr. Gray in ihrer Abwesenheit führen würden, machte sie nervös.
Trotzdem ging sie Penny nach: die Treppe hinauf und durch einen unglaublich langen Korridor, der von reich verzierten Wandleuchtern erhellt wurde. Vor der letzten Tür blieb Penny stehen und führte Laurel hinein. Der sehr vornehm eingerichtete Raum mit der hohen Decke hätte eher zu einer hochherrschaftlichen Witwe gepasst als zu einem sechsjährigen Kind.
Als Penny zielstrebig und mit kerzengeradem Rücken durch das große Zimmer ging, hallten die Schritte ihrer kleinen Füße auf dem kalten Marmorboden. Vor einem kleinen Schreibtisch blieb sie stehen und hob die Platte an. Laurel sah, dass alles darin sehr ordentlich sortiert war. Das Kind nahm eine Flasche Klebstoff heraus und reichte sie ihr. „Ist das die richtige Sorte?“
Laurel warf einen Blick darauf. Es war eine ganz neue Flasche Leim, der offenbar noch nie benutzt worden war. „Wir probieren es einfach aus“, erwiderte sie. Dann trug sie vorsichtig den Kleber auf, fügte das herausgebrochene Porzellanstück wieder in den Arm und reichte Penny die Puppe. „Am besten, du drückst das Stück noch ein paar Minuten an. Dann kannst du Marigold hinlegen, und nach ein paar Stunden ist der Leim getrocknet – und deine Puppe wieder wie neu!“
Zum ersten Mal lächelte Penny, und Laurel entdeckte eine leichte Ähnlichkeit mit ihrem Vater.
„Vielen Dank“, sagte die Kleine leise und betrachtete glücklich den reparierten Arm ihrer Puppe. „Du bist eine gute Krankenschwester.“
Leider scheint dein Vater da anderer Meinung zu sein, dachte Laurel, doch das behielt sie lieber für sich und bedankte sich stattdessen für das Kompliment.
„Du wirst nicht hierbleiben und mein Kindermädchen sein, oder?“ Penny hob den Kopf und blickte Laurel in die Augen.
„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.“
„Bestimmt nicht. Niemand bleibt hier.“
Diese Aussage fand Laurel merkwürdig und auch ein wenig unheimlich.
„Ich würde es sehr gern tun.“
Pennys Gesicht wirkte plötzlich so unbewegt, als würde sie eine Maske tragen. Sie wandte sich ab und ging mit ihrer Puppezum Fenster, um nach draußen zu blicken. „Der Himmel ist ganz bedeckt“, stellte sie fest. „Vielleicht schneit es bald.“
Am liebsten hätte Laurel sie in die Arme geschlossen, doch sie wusste, dass ihr so etwas nicht zustand. „Ja, vielleicht“, erwiderte sie. „Ich sollte jetzt lieber wieder nach unten gehen.“ Sie stellte sich neben Penny und legte ihr leicht die Hand auf die Schulter. „Ich habe mich gefreut, dich kennenzulernen – dich und Marigold.“
„Magst du mich?“, fragte das Mädchen.
„Natürlich!“, erwiderte Laurel mit Nachdruck. Damit Penny ihre energische Antwort nicht als Ausdruck von Verärgerung missverstand, kniete sie sich hin und fügte hinzu: „Ja, ich mag dich.“
Penny schloss ihre Puppe eng in die Arme. „Und Marigold auch?“
„Ja“, bestätigte Laurel lächelnd.
Es wäre übertrieben gewesen, den Gesichtsausdruck des Kindes als Lächeln zu bezeichnen. Doch immerhin wirkte es nun entspannter. „Es wäre so schön, wenn du hierbleiben könntest!“
„Ja, das finde ich auch.“ Einem spontanen Gefühl folgend, gab Laurel der Kleinen einen Kuss auf die Wange. Dann stand sie auf, verließ das Zimmer und ging zurück zur Treppe. Unten angekommen, stellte sie fest, dass Mrs. Daniels und Charles Gray nicht mehr in der Eingangshalle waren. Laurel wurde von einer leichten Panik ergriffen und fragte sich, was sie nun tun sollte. In diesem Moment erblickte sie Myra Daniels, die zu ihr eilte.
„Mr. Gray erwartet Sie in seinem Arbeitszimmer“, berichtete sie ein wenig außer Atem. „Es ist dort rechts den Gang hinunter.“
„Mrs. Daniels, ich verstehe das alles nicht“, sagte Laurel. „Warum hat Mr. Gray mich engagiert, wenn er gar kein Kindermädchen braucht? Oder passt ihm etwas an mir persönlich nicht, das er erst bemerkt hat, als er mich kennenlernte?“
„Oh nein, das ist es wirklich nicht“, versuchte Myra Daniels sie zu beruhigen und strich ihr über die Hand. „Ehrlich gesagt, habe ich die Vermittlungsagentur angerufen – und mich bei der Wahl nicht an seine Vorgaben gehalten.“
„Und die wären …?“
„Jemand, der … der älter ist. Streng.“ Sie schüttelte den Kopf. „Eine schöne junge Frau wie Sie möchte Mr. Gray nicht in
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