JULIA EXTRA BAND 0273
dann verschafft mir das die Möglichkeit, mich in Ruhe nach jemand anders umzusehen.“
Besser gesagt, nach jemand Älterem, dachte Laurel. Widerstrebend gestand sie sich ein, dass es nichts mehr gab, was sie hätte sagen können. Von nun an würde sie sich durch ihr Handeln beweisen müssen. „In Ordnung“, antwortete sie deshalb nur.
„Eine Sache möchte ich noch kurz ansprechen“, fuhr Mr. Gray fort. Plötzlich schien sich das Licht zu ändern, und Schatten glitten über sein Gesicht.
„Worum geht es?“
„Ich möchte in Ruhe gelassen werden, und deshalb werden Sie mir aus dem Weg gehen.“
„Aber …“
„Ich weiß, dass Mrs. Daniels Sie nicht nur wegen Penny, sondern auch meinetwegen eingestellt hat.“ Wieder zuckte er die Schultern und fügte dann hinzu, wobei er offenbar Mrs. Daniels zitierte: „Um mich wieder ins Leben zurückzuholen.“
Laurel neigte den Kopf zur Seite und blickte ihn an. „Auf mich wirken Sie ziemlich lebendig“, stellte sie fest.
Mr. Gray zog die Augenbrauen hoch. „Ich meinte es nicht wörtlich.“
„Ich auch nicht.“
Einen Augenblick lang musterte er sie kühl. „Sie sind doch nicht etwa kompliziert veranlagt, oder?“
Waren Mr. Grays Worte vielleicht humorvoll gemeint? In seiner Stimme schwang ein Unterton mit, den Laurel nicht recht deuten konnte. Trotzdem lächelte sie. „Nein, ganz und gar nicht.“
„Hm.“ Skeptisch sah er sie an.
Warum sein Blick sie erschauern ließ, wusste sie nicht genau. Doch es war kein völlig unangenehmes Gefühl.
„Verraten Sie mir etwas, Miss Midland: Warum sind Sie unter den zugegeben etwas ungewöhnlichen Umständen bereit, hierzubleiben?“
Laurel räusperte sich, um etwas Zeit zu gewinnen. Sie kannte Mr. Gray so gut wie gar nicht und wollte ihm keine persönlichenErklärungen geben, die ihn schließlich nichts angingen. Andererseits wollte sie auch nicht unhöflich erscheinen.
„Ich muss arbeiten, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen“, antwortete sie einfach. „Und ich habe verschiedene Jobangebote abgelehnt, um diese Stelle anzunehmen.“ Das war zwar eine Lüge, aber eine harmlose. Irgendetwas hätte sich bestimmt ergeben, auch trotz der hohen Arbeitslosigkeit in dem Gebiet, für das die Vermittlungsagentur zuständig war. „Außerdem habe ich das Gehalt fest in mein Budget eingeplant.“
Charles Gray verschränkte seine Finger ineinander. „Das klingt, als wären Sie sehr praktisch veranlagt.“
„Ich versuche es zumindest.“
„Dann lassen Sie mich Ihnen einen gut gemeinten Rat geben.“ Er beugte sich vor und sah sie durchdringend an. „Es ist meist nicht klug, mit Geld zu rechnen, bevor man es in der Hand hält.“
Wie konnte er es wagen, so herablassend mit ihr zu reden? Ein wenig trotzig hob Laurel das Kinn und sagte unerschrockener, als ihr zumute war: „Meiner Erfahrung nach ist es bei einem schriftlichen Arbeitsvertrag nicht sonderlich riskant, mit dem Gehalt fest zu rechnen.“
Mr. Gray ließ sich wieder zurücksinken und nickte langsam. „Allerdings können Verträge Schlupflöcher haben.“
„Ja – aber für beide Seiten.“
„Das ist richtig.“
Interessiert blickte er Laurel an, und sie fragte sich, was er wohl wirklich dachte. Doch es war ihm nicht anzumerken.
„Einen Monat, Miss Midland“, erinnerte er sie dann. „Ich danke Ihnen für Ihr Entgegenkommen.“
3. KAPITEL
Charles Gray war klar, warum Myra unbedingt wollte, dass Laurel Midland blieb, schließlich hatte sie es ja vorhin selbst geäußert: Die junge Frau sollte das Haus wieder mit etwas Leben erfüllen.
Doch er vermutete, dass seine Haushälterin noch weitereHintergedanken gehabt hatte. Wie er schnell feststellen konnte, ließ sich Laurel Midland weder von ihm, seiner Macht noch seiner gesellschaftlichen Position beeindrucken. Sie war das, was Myra als „temperamentvoll“ bezeichnete.
Er hingegen würde sie eher als „schwierig“ beurteilen, so viel konnte er schon jetzt sagen. Denn erstens hatte Laurel ganz offensichtlich noch nicht gelernt, wo ihr Platz war – nicht als Bedienstete natürlich, sondern als Angestellte. Womöglich hatte sie sich durch ihre Arbeit beim American Help Corps, einer Hilfsorganisation, so an Eigeninitiative und Selbstständigkeit gewöhnt, dass sie Anweisungen nur noch unwillig annahm.
Vielleicht hatte seine Einstellung aber auch damit zu tun, dass er die Gegenwart von jemandem, der eigenständig dachte, nicht mehr gewohnt war. In gewisser Hinsicht war das erfrischend,
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