JULIA EXTRA BAND 0273
zu bezeichnen, dachte Laurel. Denn auch drinnen war kein Anzeichen dafür zu finden, dass ein kleines Mädchen in diesem Haus lebte – abgesehen vom unglaublich ordentlichen Kinderzimmer.
Laurel beschloss, dass sich etwas an der ganzen Situation würde ändern müssen. Penny war viel zu schüchtern und ängstlich, und ganz offensichtlich fühlte sie sich einsam. Sie musste das Gefühl bekommen, dass dies ihr Zuhause war.
Die geräumige Küche war sehr breit und langgestreckt. Eine der Wände bestand fast vollständig aus einer vom Boden bis zur Decke reichenden Fensterfront, durch die man auf den Garten und den Weinberg blickte. Die Ausstattung erinnerte an ein Restaurant: ein riesiger Kühlschrank aus Edelstahl, ein Gasherd mit acht Flammen, außerdem mit Kristallgläsern, Silber und Porzellan gefüllte Geschirrschränke, die sich endlos an der Wand entlangzuziehen schienen.
Das Vorhaben, in einer solchen Küche Tee zu kochen, erwies sich als recht schwierig. Vorausgesetzt, man fand den Tee überhaupt – und dazu eine Tasse, die weniger wert war als ein Wochengehalt.
Nach einigen Minuten hatte Laurel eine kleine Vorratskammer entdeckt, in der Konserven und andere haltbare Lebensmittel aufbewahrt wurden – zu ihrer Überraschung auch Kamillentee. Als sie dann ganz oben auf einem Regal einen Topf aus Edelstahl und einen Wasserkocher erspähte, seufzte sie erleichtert. Perfekt!
Doch als sie nach dem Wasserkocher griff, hörte sie plötzlich, wie der Stoff ihres Nachthemds riss. Erschrocken zog sie die Hand zurück und warf dabei versehentlich fünf oder sechs Töpfe herunter, die scheppernd auf den Boden fielen.
Es schien eine kleine Ewigkeit zu dauern, bis der Lärm endlich abgeklungen war. Reglos blieb Laurel stehen und lauschte, ob sich jemand näherte. Doch zum Glück war das Haus so groß, dass nicht einmal derart laute Geräusche weit drangen.
Sie betrachtete ihr Nachthemd, das einen langen Riss an der Vorderseite abbekommen hatte. Auf der Suche nach der Ursache des Missgeschicks fand sie einen kleinen Nagel, der aus dem Regal ragte und an dem sie wohl hängen geblieben war. So leise wie möglich räumte sie die Töpfe wieder ins Regal zurück. Statt noch einmal zu versuchen, an den Wasserkocher zu gelangen, beschloss sie, einfach einen der kleineren Töpfe zu verwenden.
Mit dem Topf in der Hand ging Laurel zur Spüle, füllte etwas Wasser hinein und stellte ihn auf den Herd. Nachdem sie das Gas eingeschaltet hatte, wollte sie schnell in ihr Zimmer laufen, um sich einen Morgenmantel überzuziehen. Doch auf dem Weg aus der Küche prallte sie fast mit Charles Gray zusammen.
„Was, um alles in der Welt, geht hier eigentlich vor sich?“, fragte er, wobei sein Gesichtsausdruck genauso drohend wirkte wie seine Stimme.
Laurel wurde blass. „Es tut mir leid. Ich … ich wollte mir einfach nur eine Tasse Tee kochen.“
„Und um Tee zu kochen, müssen Sie zuerst die gesamte Küche auseinandernehmen?“ Charles Gray zog die Augenbrauen hoch.
„Nein, natürlich nicht. Ich habe aus Versehen ein paar Töpfe umgestoßen, die dann zu Boden gefallen sind. Aber es ist nichts kaputtgegangen, und ich habe alles wieder ins Regal geräumt.“
Er ließ den Blick über sie gleiten. „Und was ist mit dem Tee?“
Laurel wies auf den Topf auf dem Herd, aus dem jedoch kein Dampf aufstieg, sondern etwas, das eher wie Rauch aussah … Oh nein! dachte sie entsetzt, denn es war tatsächlich Rauch. Offenbar war das Wasser in der Zwischenzeit vollkommen verkocht.
Am liebsten hätte sie laut geflucht, als sie zum Herd rannte und den Topf vom Gas nahm. „Der Tee wurde durch ein unvorhergesehenes Ereignis verzögert“, sagte sie in der Hoffnung, Charles Gray würde ebenfalls die Komik der Situation erkennen.
Das tat er jedoch nicht. „Miss Midland, mir ist zwar bewusst, dass Sie nicht das ideale Kindermädchen für Penny sind. Aber so langsam bekomme ich den Eindruck, als wäre Ihre bloße Anwesenheit im Haus eine Gefährdung für Leib und Leben.“
„Der Eindruck täuscht“, versicherte Laurel.
Charles betrachtete sie gelassen. „Und warum stand dann eben noch ein brennender Topf auf dem Herd?“
„Er hat ja nicht wirklich gebrannt“ , verteidigte sie sich. „Das Wasser ist einfach verkocht, während ich mit Ihnen geredet habe.“
Er nickte, schien jedoch nicht überzeugt zu sein. „Sie haben für das American Help Corps gearbeitet, stimmt’s?“
Verwundert runzelte Laurel die Stirn. Aus welchem Grund kam er
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