JULIA EXTRA BAND 0273
denn ausgerechnet jetzt darauf? Die Vorstellung, dass Mr. Gray, der sie ohnehin am liebsten unter irgendeinem Vorwand losgeworden wäre, sich mit diesem Teil ihrer Vergangenheit beschäftigte, gefiel ihr gar nicht. Wenn er herausfinden würde … das wäre eine einzige Katastrophe. Sie wollte lieber gar nicht darüber nachdenken.
„Ja, das ist richtig“, bestätigte sie und versuchte, möglichst gelassen zu klingen. Weil ihre Stimme trotzdem leicht bebte, lachte sie, um darüber hinwegzutäuschen. „Und ich kann Ihnen versichern, dass ich in dieser Zeit kein einziges Haus niedergebrannt habe.“
Charles Gray kniff leicht die Augen zusammen. „Worin genau bestand Ihre Arbeit?“
„Ich habe Schulkindern Englischunterricht erteilt.“
„Hatten Sie dort Kollegen?“
Ja, dachte Laurel verzweifelt. Ich hatte eine sehr enge Freundin, mit der ich zusammengearbeitet habe. Doch die Erinnerungerfüllte sie mit so viel Angst und Schmerz, dass sie nicht darüber sprechen konnte. Stattdessen erwiderte sie: „Ja. Während meiner Zeit beim American Help Corps waren noch mehrere andere Lehrer dort beschäftigt.“
„Wo genau waren Sie noch einmal?“, erkundigte sich Charles Gray. „In Litauen?“
Warum, um alles in der Welt, interessierte ihn das plötzlich so sehr?
„Nein, in Lenovien.“
Er pfiff leise. „Ganz schön gefährlich. Da wütet ja ein brutaler Bürgerkrieg.“
Laurel nickte. „Ja, die Menschen dort brauchten dringend Unterstützung, und ich war froh, dass ich helfen konnte.“ Sie gähnte betont. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich muss wirklich langsam ins Bett. Sonst bin ich morgen zu nichts zu gebrauchen und kann mich nicht gut um Penny kümmern.“
Charles Gray zögerte einen winzigen Augenblick, dann nickte er, ohne etwas zu erwidern.
Das angespannte Schweigen machte Laurel nervös. „Dann also gute Nacht“, fuhr sie fort. „Es … es war nett, sich mit Ihnen zu unterhalten. Und bitte entschuldigen Sie die Sache mit dem Lärm … und den Töpfen.“ Und alles andere, was Ihnen an mir nicht gefällt.
Sie wandte sich um und wollte in ihr Zimmer gehen.
„Ich hoffe, Ihnen ist klar, dass meine Vorbehalte nicht persönlich gemeint sind“, sagte Charles Gray, als sie ihm bereits den Rücken zugewandt hatte.
Laurel musste leise lachen. Sie blieb stehen und drehte sich wieder um.
„Bei allem Respekt, Mr. Gray, es fällt mir sehr schwer, das nicht persönlich zu nehmen.“
Er überlegte einen Moment und nickte dann erneut. Sein konzentrierter Gesichtsausdruck ließ ihn sehr ernst wirken, aber auch unglaublich attraktiv. „Sie müssen wissen, dass ich Mrs. Daniels genaue Anweisungen gegeben hatte, sich mit einer Agentur in Verbindung zu setzen und ein Kindermädchen zu engagieren, das wesentlich älter sein sollte als Sie. Jemanden“, er sah sie an, „mit mehr Erfahrung.“
In dieser Hinsicht musste Laurel ihm zustimmen. Sie war unerfahren – aber nicht im Umgang mit Kindern. „Penny ist einsehr liebes kleines Mädchen, das konnte ich schon feststellen. Ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass Ihre Tochter eine so strenge Betreuerin benötigt, wie Sie glauben. Penny scheint mir in erster Linie Wärme, Liebe, Geborgenheit und Sicherheit zu brauchen.“
„Sie hat mehr Sicherheit als die meisten Kinder“, entgegnete Charles Gray kühl.
„Vielleicht in finanzieller Hinsicht. Aber offensichtlich hat Sie Angst, dass alle Menschen in ihrer Umgebung sie irgendwann alleinlassen.“
Laurel wusste, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte. Es war ein schwieriges Unterfangen: Sie brauchte bestimmte Informationen, um Penny helfen zu können. Andererseits durfte sie sich nicht in Dinge einmischen, die sie nichts angingen.
„Wie ich gehört habe, ist ihre Mutter vor ein paar Jahren gestorben“, begann sie.
„Vor eineinhalb Jahren“, erwiderte Charles Gray und senkte den Blick.
Laurel konnte die Anspannung förmlich spüren, die in der Luft lag und mit jeder Sekunde stärker zu werden schien. Und plötzlich wurde ihr klar, dass nicht nur Penny, sondern alle in diesem Haus noch immer wegen dieses furchtbaren Verlusts trauerten. Sicher war eine Leere entstanden, die Penny nicht entging. Und deshalb kam zu ihrer Trauer noch ein unbestimmtes Gefühl von Schmerz und Verlust hinzu, das sie nicht genau verstand.
„Es tut mir furchtbar leid“, sagte Laurel vorsichtig. „Das muss sehr schwer für Sie beide sein. Bitte erlauben Sie mir, Ihnen zu helfen. Ich möchte versuchen, Penny zumindest
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