JULIA EXTRA BAND 0273
am Schreibtisch arbeiten wollen. Stattdessen beobachtete er Stephanie.
Heute war sie früher aus dem Restaurant gekommen und hatte erklärt, die Wohnung müsse dringend gereinigt werden. Die einzige Unordnung, die es hier gab, war seine, doch Daniel weigerte sich, deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben.
Statt eines eleganten Kostüms trug sie nun eine bequeme Hose und ein Top. Das Haar hielt ein lockerer Pferdeschwanz zusammen. Ein paar glänzende Strähnen hatten sich gelöst und umspielten ihr Gesicht.
Ruhelos legte er den Kugelschreiber nieder. Er war einfach zu lange Single.
In der letzten Nacht hatte Stephanie im Traum voller Angst geschrien. Doch er hatte dem Impuls widerstanden, sie zu trösten. Wie sollte er ihr schon helfen? Dafür müsste er wirklich empfinden, was er nicht mehr konnte. Abgesehen davon ahnte er, dass er in Stephanies Schlafzimmer nicht willkommen wäre, Albtraum hin oder her.
Er sprang auf und streckte den schmerzenden Rücken. Als ersich umdrehte, kniete Stephanie auf dem Boden und polierte den Tisch. Sie sah auf und lächelte ihn an. Daniel ertappte sich wieder bei einem Gedanken, der so gar nicht zu seiner Rolle des platonischen Mitbewohners passte.
„Sie haben hart gearbeitet. Kommen Sie gut voran?“, fragte Stephanie.
„Erfreulicherweise sogar besser als erwartet. Mein Vater …“ Er konnte sich immer noch nicht an dieses Wort gewöhnen. „Mein Vater hat mir seine Hilfe angeboten.“
„Daniel, das ist ja wunderbar.“ In ihren Augen stand ehrliche Freude. „Er hat sicher Kontakte, die Ihr Unternehmen vorantreiben können.“
Daniel antwortete nicht. Wie sollte er ihr auch sagen, dass er dem Mann, der ihm das Leben geschenkt hatte, nicht traute?
Aufmerksam hielt Stephanie im Polieren inne. „Sie wirken nicht gerade begeistert.“
„Ich verstehe einfach nicht, warum er das tut.“
„Weil Sie sein Sohn sind.“
„Er kennt mich doch gar nicht. Er weiß nicht, ob ich überhaupt kompetent oder vertrauenswürdig bin.“
„Das stimmt natürlich. Und trotzdem stellt er Sie einflussreichen Leuten vor. Dabei setzt er seinen Namen und seinen guten Ruf aufs Spiel.“
„Eben.“ Daniel verstand es einfach nicht. Was erwartete der alte Mann dafür als Gegenleistung? „Er hat ein Meeting zum Mittagessen arrangiert, zu dem ein paar wichtige Investoren kommen.“
„Werden Sie die Chance nutzen?“
„Ich weiß es noch nicht.“ Daniel hasste es, wenn ihm jemand einen Gefallen tat. Weil er es hasste, sich jemandem verpflichtet zu fühlen.
Nachdem Stephanie das Tuch auf die ihr eigene Weise perfekt gefaltet hatte, erhob sie sich und sah ihn an. „Sie haben mich nicht um Rat gefragt, aber ich sage Ihnen trotzdem, was ich denke. Nutzen Sie es. Wenn ich in diesem Jahr, das ich hier arbeite, etwas verstanden habe, dann, dass John ein guter Mensch ist.“
Und wo war er dann all die Jahre gewesen?
„Ich werde darüber nachdenken.“ Damit wandte Daniel sich dem Fernseher zu, in der Hoffnung, etwas Zerstreuung zu finden.Dieses Gespräch über seinen Vater zerrte an seinen Nerven. „Schauen wir uns zusammen einen Film an.“
Dass sie tatsächlich die Putzsachen beiseitelegte und sich zu ihm gesellte, anstatt sich wie sonst in ihrem Schlafzimmer zu verschanzen, überraschte ihn maßlos. Ob das an dem Picknick lag?
Für ihn war es immer noch unbegreiflich, dass eine Frau ihres Alters noch nie ein Picknick gemacht haben sollte. Seine Hippie-Mutter hatte Dominic und ihn auf unzählige, woodstockähnliche Picknicks genommen, bei denen sie unbeaufsichtigt herumgestromert waren.
Daniel zappte durch die Kanäle und stoppte bei einer Unterhaltungssendung. „Wie wäre es damit?“
„Mir ist es einerlei. Irgendetwas Hirnloses zum Entspannen.“
„Sitzen Sie manchmal einfach nur vor dem Fernseher und entspannen sich?“
Sie zog die Nase kraus und sah dabei sehr süß aus. Und die nackten Füße, die sie auf die Couch gelegt hatte, sahen sehr verführerisch aus. Wer hätte gedacht, dass der Anblick ihrer nackten Zehen seinen Puls derart beschleunigen würde?
Am besten konzentrierte er sich auf die Sendung. Darum bemühte er sich auch sehr, doch jedes Mal, wenn seine hübsche Sitznachbarin lachte, zog sie seine Aufmerksamkeit unweigerlich auf sich.
Nach der Sendung, als Daniel sich gerade wieder an seinen Schreibtisch begeben wollte, zeigten die Nachrichten das Bild eines niedlichen kleinen Mädchens, kaum sechs Jahre alt, das vernachlässigt, missbraucht und schließlich
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