JULIA EXTRA BAND 0274
Schneetreibens abwarten könnten.
Und noch während ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, spürte sie, wie der Wagen ins Schleudern geriet. Sie umklammerte das Lenkrad, um ihn zu halten, aber sie schaffte es nicht. Im nächsten Moment ragte ein riesiger dunkler Schatten vor ihr auf. Sie rief: „Scott! Halt dich fest!“, dannkrachten sie mit einem Knirschen, das ihr durch Mark und Bein ging, gegen etwas Hartes und blieben stehen.
„Mummy!“, schrie Scott und noch einmal „Mummy!“, als sie nicht antwortete.
„Es ist alles okay, Schatz“, versuchte sie ihn zu beruhigen. Vorsichtig befühlte sie ihren Kopf, der beim Aufprall an die Fensterscheibe geschlagen war.
Die Scheinwerfer brannten noch, obwohl der Motor sofort ausgegangen war. Meg drehte sich zu Scott um: Er saß noch immer festgeschnallt in seinem Kindersitz und streckte ihr schreckensbleich die Arme entgegen. Tränen liefen ihm über die Wangen.
„Nicht weinen, Liebling, es ist uns ja nichts passiert.“ Mit zitternden Fingern öffnete sie den Sitzgurt, um auszusteigen und zu ihm zu gehen, doch dazu kam sie nicht. Die Tür neben ihr wurde aufgerissen; eisige Luft schlug ihr ins Gesicht, und ein Riese steckte bedrohlich den Kopf durch die Öffnung. Entsetzt schrie sie auf.
„Mummy, Mummy! Ein Bär!“
Ein riesiger, haariger Grizzlybär.
Ein Bär mit blauen Augen und dichtem dunkelbraunen Haar, konstatierte Meg im nächsten Moment, als der Mann die Kapuze seines Wintermantels zurückschob.
„Sind Sie verletzt?“, fragte er brüsk, bevor er sich nach dem weinenden Kind umdrehte.
„Lassen Sie mich raus, ich muss zu ihm!“
Der Mann trat zurück, und Meg sprang aus dem Auto. Sie riss Scotts Tür auf, hob ihn aus dem Sitz und drückte ihn an sich. „Alles ist in Ordnung, Liebling. Das ist kein Bär, sondern ein freundlicher Herr, der uns nur helfen will.“
Wenigstens hoffte sie das. Bei ihrem Pech würde es sie nicht wundern, wenn sie das Haus – denn als solches erwies sich der riesige Schatten – eines menschenfeindlichen Einsiedlers gerammt hatte, der Frauen und kleine Kinder nicht mochte und nicht daran dachte, ihnen zu helfen.
Im Moment war ihr das auch egal, der Schreck steckte ihr noch zu sehr in den Gliedern. Benommen fragte sie: „Ist in dem Hotel noch etwas frei?“
Er zog die Augenbrauen hoch, dann erwiderte er spöttisch: „Sie haben Glück, es ist tatsächlich etwas frei. Kommen Sie.“
Natürlich war es kein Hotel, sondern ein Cottage, wie Meg gleich darauf zu ihrem Beschämen feststellte – der Mann musste sie für eine Idiotin halten. Nach einem kurzen Abstecher zur Toilette saß sie jetzt mit Scott auf den Knien in einem niedrigen Wohnzimmer mit Holzbalken an der Decke. Im Kamin prasselte ein Feuer, und ihr unfreiwilliger Gastgeber hatte sie mit heißer Schokolade bewirtet, bevor er wieder verschwand.
„Mummy, wo ist der Mann hingegangen?“, wollte Scott wissen, während er sich schüchtern umsah.
„Das weiß ich nicht. Nach draußen, nehme ich an.“
Die Tür ging auf, und der Hausherr kam in den Flur zurück. Er war von oben bis unten mit Schnee bedeckt und sah jetzt eher wie ein Eisbär aus.
„Mein Name ist Jed“, brummte er, während er Mantel und Stiefel auszog und zu ihnen ins Wohnzimmer trat. „Das gehört Ihnen, nehme ich an.“ Er reichte Meg ihre Handtasche, die sie im Auto vergessen hatte, und hielt Scott den kleinen Rucksack mit seinen Spielsachen hin. „Und das ist wohl deiner“, sagte er etwas freundlicher. „Hier sind die Autoschlüssel.“ Er ließ sie in ihre ausgestreckte Hand fallen. „Allerdings besteht kaum Gefahr, dass man den Wagen stiehlt“, fügte er trocken hinzu. „Er ist vorne ganz schön verbeult.“
Zwei Dinge gingen Meg durch den Kopf: Der Mann sprach mit einem amerikanischen Akzent und war auch ohne den dicken Wintermantel eher überwältigend.
Knapp zwei Meter groß, mit breiten Schultern und schmalen Hüften, stand er vor ihr. In dem schwarzen Pullover und den verwaschenen Jeans kam seine athletische Gestalt bestens zur Geltung. Das dunkle Haar war dicht und etwas zu lang, das Gesicht mit dem eckigen Kinn tief gebräunt. Alles in allem machte er den Eindruck eines durch und durch selbstsicheren Menschen.
Jetzt musterte er Scott und sie mit kühlem Interesse. Unbewusst zog Meg ihren Sohn enger an sich. Was mochte er von ihnen denken?
Sie selbst war zierlich gebaut, maß kaum einen Meter sechzig, und die pechschwarze glatte Mähne reichte ihr fast bis zur Taille.
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