JULIA EXTRA BAND 0274
Sie hatte ein schmales herzförmiges Gesicht mit tiefgrünen Augen und ein paar kecken Sommersprossen aufder Nase, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem ihres Sohns aufwies.
Niemand sprach, und langsam wurde das Schweigen ungemütlich. Meg räusperte sich. „Es tut mir wirklich leid, Mr. … äh … Jed, dass wir Sie und Ihre Familie auf diese Art belästigen müssen, aber …“
„Eine Familie gibt es nicht, ich wohne allein.“ Er bückte sich, um einen Holzscheit ins Feuer zu legen, bevor er sich wieder zu seiner vollen Größe aufrichtete. Unwillkürlich zog Meg sich noch tiefer in den Sessel zurück.
„Haben Sie Angst vor mir?“ Er bedachte sie mit einem kurzen Lächeln, welches sie durchaus nicht beruhigend fand. „Ich weiß, ich sollte wieder mal zum Friseur gehen – sehe ich wirklich wie ein Bär aus?“
Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Sie benahm sich wie ein kleines Kind – der Mann war schließlich ihr Retter, nicht ihr Feind.
Sie stand auf und setzte Scott auf den Sessel. „Ich kann Ihnen nicht genug danken, Mr. … Jed. Wenn Sie uns nicht geholfen hätten, dann …“ Ein Schauder lief ihr über den Rücken.
„Es war mir ein Vergnügen“, versicherte er trocken.
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir die Telefonnummer der nächsten Werkstatt zu geben? Ich möchte das Auto abschleppen lassen und … Warum schütteln Sie den Kopf?“
„Machen Sie sich keine Hoffnung. Jetzt ist es nach halb sechs, die Werkstatt im Ort ist geschlossen. Und bei dem Wetter würde sowieso niemand kommen.“
Meg sah aus dem Fenster und biss sich auf die Lippen. Der Sturm wütete mit unverminderter Gewalt. Sie warf einen Blick auf Scott, der jetzt auf dem Teppich lag und spielte. Die Unterhaltung zwischen seiner Mutter und dem fremden Mann langweilte ihn ganz offensichtlich.
Was sollte sie tun? Das Auto war kaputt und die Straße völlig zugeschneit. Zu Fuß würden sie nirgends hinkommen.
Außerdem – sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie überhaupt waren. Scott und sie saßen fest. Und das einen Tag vor Weihnachten!
Jed konnte sich gut vorstellen, was in ihr vorging. Wie jung und hilflos sie aussah! Überhaupt nicht wie eine erwachseneFrau, geschweige denn wie die Mutter eines kleinen Jungen. Sie selbst war ja noch ein halbes Kind. In dem weißen Gesicht bildeten die Sommersprossen und die riesigen Augen mit den unglaublich langen schwarzen Wimpern – die längsten, die er jemals gesehen hatte – im Moment die einzigen Farbtupfer.
Man sah ihr an, wie unglücklich sie war.
Nicht, dass er, Jed, mit den Geschehnissen besonders glücklich wäre! Er war nicht in dieses abgeschiedene englische Dorf gekommen, um seine Ruhe von einem grünäugigen weiblichen Kobold und einem kleinen Jungen stören zu lassen.
Doch was immer ihr auch durch den Kopf gehen mochte, sie wahrte die Fassung, als sie ihm ihre schmale Hand entgegenhielt. „Mein Name ist Meg Hamilton, und das ist Scott, mein Sohn.“
Typisch britisch, schoss es Jed durch den Kopf. Nichts, nicht einmal ein Schneesturm, brachte diese Nation dazu, ihre guten Manieren zu vergessen.
„Jed Cole“, erwiderte er brüsk und schüttelte die dargebotene Hand. Dabei ließ er Meg nicht aus den Augen. Sagte ihr sein Name etwas?
Es sah nicht so aus. Sie entzog ihm die Hand, offenbar zufrieden, dass das Vorstellen nun vorbei war.
Sie wusste also nicht, wer er war. Es sei denn, dachte er zynisch, sie ist eine hervorragende Schauspielerin.
Seit neun Monaten – seitdem sein Privatleben anscheinend öffentliches Besitztum war – verfolgte ihn vor allem das weibliche Geschlecht unter den fadenscheinigsten Vorwänden. Eine seiner Bewunderinnen war sogar bis in den Umkleideraum seines Sportklubs vorgedrungen, zur allgemeinen Erheiterung der übrigen Männer. Dennoch hielt er es für unwahrscheinlich, dass ihm jemand mitten in einem Schneesturm, mit einem dreijährigen Kind im Schlepptau, nachfuhr, nur um seine Bekanntschaft zu machen. Das ginge denn doch etwas zu weit. Abgesehen davon gehörte Meg Hamilton, da sie ihn nicht erkannt hatte, auch nicht zu seinen Bewunderinnen.
„Gibt es in der Nähe kein Hotel, wo Scott und ich übernachten können?“, fragte sie.
„Leider nicht.“ Es tat ihm wirklich leid, denn nun blieb ihm nichts anderes übrig, als die beiden zu beherbergen; beidem Wetter konnte er sie schlecht vor die Tür setzen.
Warum hatte sie sich ausgerechnet sein Haus für ihren Unfall ausgesucht?
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