JULIA EXTRA BAND 0274
bedankte.
Schließlich blieb nur noch ein kleines Päckchen übrig, das Scott jetzt ein wenig schüchtern seiner Großmutter brachte.
Jed fühlte, wie sich sein Magen zusammenzog, als er Megs weißes Gesicht sah. Sie machte eine Bewegung, als wolle sie ihren Sohn zurückhalten, besann sich dann aber eines Besseren. Sein Blick glitt zu Lydia hinüber; insgeheim beschwor er sie, den Kleinen jetzt nicht durch ein Wort oder eine Geste zu verletzen.
Sie tat es nicht. Verwirrt betrachtete sie das ungeschickt in buntes Papier eingewickelte Geschenk, das ihr der Junge entgegenhielt. „Für mich?“, fragte sie unsicher. „Du und deine Mummy, ihr habt mir doch schon die große Flasche Parfüm geschenkt.“
Es waren die ersten Worte, die sie an ihren Enkel richtete.
Meg kämpfte mit den aufsteigenden Tränen; instinktiv machte sie einen Schritt auf die beiden zu, aber David legte ihr leicht die Hand auf den Arm und hielt sie zurück. Dabei ließ er seine Frau und das Kind nicht aus den Augen.
Jed wusste, was in Meg vorgehen musste – er selbst wartete mit angehaltenem Atem. Wenn Lydia ihrem Enkel jetzt auch nur das geringste Leid zufügte, würde Jed sie mit seinen eigenenHänden erdrosseln.
Der Junge lächelte schüchtern. „Schon“, erklärte er ernsthaft, „aber die haben wir in einem Geschäft gekauft. Das hier hab ich selber gemacht. Für dich, Grandma.“ Immer noch hielt er ihr das Päckchen entgegen.
Lydia schluckte, dann streckte sie die Hand aus und nahm das Geschenk an. Ihr sorgfältig geschminktes Gesicht war bleich.
Niemand sagte ein Wort. Keiner rührte sich. Alle warteten.
„Mummy sagt, du hast schon einen“, plapperte Scott mutig weiter, als seine Großmutter das Geschenk ein wenig unbeholfen auspackte. „Den habe ich im Kindergarten gemacht. Gefällt er dir?“
Es war ein Stern, von kleinen Fingern ungeschickt geformt und mit viel Goldfarbe bepinselt. Für Jed war es der schönste Stern, den man sich denken konnte. Würde Lydia, die solchen Wert auf Perfektion legte, das auch erkennen?
Er spürte, wie jemand nach seiner Hand griff: Meg. Mit einer beruhigenden Geste umschloss er ihre schlanken Finger, während sein Blick Lydia nicht losließ.
Sprachlos betrachtete sie die Gabe ihres Enkels. Das Schweigen im Raum wurde langsam unerträglich.
„Er ist für den Weihnachtsbaum“, erklärte Scott verzagt. Seine Lippen fingen an zu zittern, als er keine Antwort erhielt.
Warum sagt sie denn nichts, dachte Jed. Er schaute zu David hinüber, der seine Frau unverwandt beobachtete. Warum unternahm er nichts? Worauf wartete er? Wusste er nicht, was im nächsten Moment passieren würde?
Lydia sah auf, und Jed erkannte sie kaum wieder. Emotionen, wie er sie auf diesem Gesicht noch nie gesehen hatte, entstellten die sonst so gleichmäßigen Züge. Ihre Augen schimmerten feucht.
„Er ist … wunderschön, Scott“, schluchzte sie, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Sie nahm den Jungen in die Arme und presste ihn an sich, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Endlich fasste sie sich ein wenig und versuchte zu lächeln. „Komm …“ Sie stand auf und nahm ihn bei der Hand. „Wir stecken ihn an den Weihnachtsbaum.“
Scott strahlte. „Jetzt gleich, Grandma?“
„Natürlich.“ Sie hatte nur noch Augen für den kleinen Jungen. Zusammen verließen sie das Wohnzimmer.
Jed spürte, wie Meg ihm die Hand entzog. Auch ihre Wangen waren nass, als sie ihren Vater beim Arm nahm, um Scott und Lydia zu folgen.
Jed atmete ein paar Mal tief ein, dann ging er ihnen nach.
10. KAPITEL
In den siebenundzwanzig Jahren ihres Lebens hatte Meg ihre Mutter nicht ein einziges Mal weinen sehen. Es war eine überraschende und verstörende Erfahrung.
Stumm beobachtete sie, wie Lydia und Scott die weitläufige Eingangshalle durchquerten, bis sie vor dem Weihnachtsbaum standen. Wie ihre Mutter den Jungen auf den Arm nahm und an sich drückte, wie sie ihn aufforderte, den goldenen Stern an einem der Zweige zu befestigen. Ihre Mutter, die bisher nicht das geringste Interesse an Scott bekundet hatte.
Sie sah auf, als Jed neben ihr stehen blieb. Auch er ließ die beiden nicht aus den Augen.
„Meinst du, ich soll hingehen und ihnen helfen?“
„Nein“, murmelte er. „Mir scheint, sie kommen sehr gut allein zurecht.“
Und so war es: Als der Stern am Baum befestigt war, trat Lydia, ihren Enkel immer noch auf dem Arm haltend, einen Schritt zurück, und gemeinsam betrachteten sie ihr Werk.
„Das ist
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