JULIA EXTRA Band 0276
Dann nahm sie ihre Hand von Lucs Schulter und machte einen Schritt Richtung Tür.
„Ich muss jetzt die Kühe melken“, meinte sie übergangslos. „Wenn … äh … wenn Sie nachher noch hier sein sollten, können wir weiterreden. Jetzt muss ich erst einmal nachdenken. Kümmert euch um Max, Kinder … ich brauche etwas Zeit für mich …“
„Wenn Sie noch Fragen haben …“
„Im Moment nicht.“ Damit verschwand sie in den angrenzenden Wirtschaftsraum.
Max war allein mit Luc, den Zwillingen und Dolores. Und alle schauten ihn vorwurfsvoll an. Anklagend.
„Du hast Phillippa traurig gemacht“, sagte Sophie.
„Habe ich nicht.“
„Sie geht immer alleine raus, wenn sie traurig ist“, erklärte Claire.
„Sie ist rausgegangen, um die Kühe zu melken.“
„Ja, aber sie ist traurig.“ Das kam von Luc. „Vielleicht denkt sie, du willst uns ihr wegnehmen.“
„Das werde ich nicht tun.“
„Wir würden auch nicht mit dir kommen.“
„Das kann ich euch nicht verübeln“, murmelte Max und fühlte sich unbeholfener als je zuvor in seinem Leben. „Kinder, ich verspreche euch, nichts gegen euren Willen zu tun. Unsere Familien gehörten vor langer Zeit zusammen. Jetzt bin ich hier und muss feststellen, dass ihr friert und Hunger habt. Da ist es doch ganz natürlich, wenn ich helfen möchte. Aber ich werde nichts tun, was Phillippa nicht gefällt.“
„Wirklich?“
Max begegnete Lucs forschendem Blick offen und fest. „Wirklich!“
„Ich will nämlich kein Prinz sein, wenn Phillippa das nicht mag.“
„Kann ich verstehen.“
Dieser Junge war wirklich etwas ganz Besonderes. Er verdiente es, beschützt zu werden, und er durfte nicht von Phillippa und seinen Schwestern getrennt werden. In dieser Sekunde starb die Idee, Luc in ein fernes Schloss zu bringen und ihn der Obhut eines fremden Kindermädchens zu überlassen.
„Ich glaube, eure Phillippa ist eine ganz wunderbare Tante“, sagte Max leise.
„Ja, ein echtes Ass“, bestätigte Luc. „Gibt es dort ein Schloss?“
„In Monte Estella? Ja, das gibt es.“
„Sind da auch Drachen?“, fragte Claire schüchtern.
„Nein.“
„Wir mögen nämlich keine Drachen“, erklärte die resolutere Sophie.
Als Max kurz darauf seine Sachen aus dem Trockner nahm, musste er feststellen, dass sie immer noch klamm waren. Er zog sie trotzdem an und fröstelte innerhalb weniger Minuten. Seufzend zog er auch noch Donalds Cape über und verließ das Haus über die hintere Veranda.
„Wo muss ich langgehen, um zum Kuhstall zu kommen?“, hatte er Luc gefragt, nachdem der ihn dezent daran erinnert hatte, dass Phillippa nicht nur traurig war, sondern jetzt auch noch die Kühe allein melken musste.
Der Junge hatte ihm die Richtung gezeigt und Max aufmunternd auf den Arm geklopft. „Wenn du schnell rennst, wirst du nicht so nass“, gab er ihm noch mit auf den Weg, ehe er zu seinen Schwestern zurückkehrte.
Der lang gestreckte, baufällig wirkende Ziegelbau lag etwa zweihundert Meter vom Haus entfernt. An der Außenmauer warteten viele schwarz-weiße Kühe geduldig in einer langen Reihe im strömenden Regen. Max durchquerte einen düsteren Raum voller Blechkannen, die allerdings nicht die frisch gemolkene Milch aufnehmen würden, weil die wegen der bakteriellen Verunreinigung in den Abfluss wanderte. Der Melkstand hinter der nächsten Tür machte einen sauberen, ordentlichen Eindruck. Phillippa arbeitete in einem schmalen Gang zwischen den Melkständen, in denen die Kühe aufgereiht standen.
Sie hielt sich ein Taschentuch an die Augen und ließ es sofort verschwinden, als sie merkte, dass sie nicht mehr allein war. Sie schaute nicht hoch, sondern konzentrierte sich darauf, das nächste Euter zu säubern.
Hatte sie etwa geweint?
Max versuchte, die Situation aus Phillippas Sicht zu betrachten. Hilfe bei der Versorgung und Erziehung von drei Kindern musste ihr doch sicher willkommen sein. Aber sie war nicht mit den Kindern verwandt, so wie er. Ob sie wirklich Angst hatte, er würde sie ihr wegnehmen?
Das hatte er absolut nicht gewollt.
„Ich bin hier, um zu helfen“, sagte er ruhig.
„Bleiben Sie lieber dort stehen. Kühe mögen keine Fremden.“
„Darauf kann ich leider keine Rücksicht nehmen.“ Er war an ihrer Seite, ehe sie protestieren konnte. „Lassen Sie mich die Zitzenbecher anlegen. Sie bringen die nächsten Tiere rein und die fertigen wieder nach draußen.“
„Woher wissen Sie, wie gemolken wird?“, fragte sie aufrichtig
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