JULIA EXTRA Band 0276
saß ihr wieder genauso in den Gliedern wie damals. „Am Ende fand die Polizei sie auf Vancouver Island in Parksville. Sie konnte nicht sagen, woher sie kam, wie sie dorthin gelangte oder wer sie überhaupt war. Sie trug ihren Wintermantel, ihre besten Schuhe, ihre Perlen und sonst nichts.“
Gina hatte Tränen in den Augen, und keiner der Männer sprach ein Wort. Beide saßen einfach nur da und sahen sie geduldig an.
Um Fassung ringend, fuhr Gina fort: „Da wusste ich, dass der Tag gekommen war, vor dem ich immer Angst hatte. Zu ihrer eigenen Sicherheit musste ich mein Wort brechen und sie in professionelle Pflege geben.“ Jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr aufhalten. „Eine Pflegeeinrichtung. Das schreit doch förmlich nach Abschiebung und Vernachlässigung. Wie konnte ich ihr das nur antun?“
„Eine schwere Entscheidung, das muss man dir lassen“, sagte Angelo etwas verbindlicher. „Aber was hat das alles mit mir zu tun, mein Kind? Warum hätte ich ihr helfen sollen?“
„Weil sie deine Tochter ist!“ Gina schleuderte ihm die Antwort ins Gesicht. „Hast du ein Wort von dem verstanden, was ich gesagt habe? Sie ist das Kind, das du verstoßen hast. Und sie braucht die Art von Hilfe, die nur du ihr geben kannst.“
„Wenn das stimmt“, unterbrach Mikos, „warum hast du es nicht früher erzählt?“
„Weil ich die Wahrheit selbst noch nicht lange kenne.“
„Wie passend. Du findest heraus, dass Angelo der Vater deiner Mutter ist, und bist gleichzeitig auf dem Weg nach Griechenland, um ihn zu interviewen?“
„So war es natürlich nicht. Ich habe sie zur Vorsorgeuntersuchung zum Arzt gebracht und dort im Wartezimmer ein Wirtschaftsmagazin durchgeblättert.“ Sie warf Mikos einen vernichtenden Blick zu. „Und bevor du etwas einwirfst, lass mich eines sagen: Vor ihrer Krankheit war sie eine gebildete, intelligente und belesene Frau. Es gibt nicht viel in der Welt, von dem sie nichts wusste.“
„Komm zur Sache!“ Nicht die Spur von Mitleid oder Verständnis lag in Mikos’ Stimme. Seine Augen leuchteten so grün wie die See bei Sturm, ein starker Kontrast zu seiner völlig ausdruckslosen Miene.
Sie hielt seinem Blick nicht stand und wandte sich an Angelo. „In der Zeitschrift war ein Foto von dir zusammen mit der Ankündigung deiner Geburtstagsfeier. Und Mom …“ Sie schluchzte. „Sie war extrem aufgeregt. Fing an zu weinen, umarmte die Zeitschrift und beklagte sich, dass ihr Vater sie nicht lieben würde.“
„Das soll dein Beweis für Angelos Vaterschaft sein?“, spottete Mikos und lachte kurz. „Da musst du schon schwereres Geschütz auffahren.“
Diese sarkastische Ader an ihm war ihr neu. „Ich gebe zu, das alles klingt ziemlich unrealistisch. Ich hätte diesen Vorfall auch vergessen und als weiteres Krankheitssymptom abgetan, aber als ich dem Arzt davon erzählte, bestätigte er ihre Geschichte.“
„Wie viel hast du ihm dafür gezahlt?“
„ Scasmos !“, rief Angelo ungeduldig. „Um Himmels willen, Mikos, sei endlich still und lass sie ausreden! Sprich weiter, Mädchen.“
„Um den Ruf meiner Familie zu schützen, ist meine Großmutter an die Westküste gezogen. Dort bin auch ich aufgewachsen, und jeder hat geglaubt, sie wäre Witwe. Die einzige Person, der sie sich anvertraut hat, war ihr Arzt. Es war der Vater unseres jetzigen Arztes, der sie während ihrer Schwangerschaft betreut und sogar meine Mutter entbunden hat.“
„Eine rührende Geschichte“, bemerkte Mikos trocken. „Sie beweist aber nicht Angelos tatsächliche Vaterschaft. Nur dass deine Großmutter nicht verheiratet war und einen Bastard zur Welt gebracht hat.“
Gina zuckte heftig zusammen. „Ähnlich wie bei deiner Mutter, was?“, giftete sie.
„Lass meine Mutter da raus!“
„Gern!“ Sie ballte die Hände zu Fäusten, bis sich ihre Fingernägel tief in ihre Handflächen gruben. „Sobald du einsiehst, dass meine Mutter auch ohne deine sarkastischen Entgleisungen genug ertragen hat!“
„Wann ist deine Mutter geboren?“
Beide hatten für einen Moment vergessen, dass Angelo noch am Tisch saß. Und als der alte Mann sprach, fehlte seine übliche Arroganz in der Stimme. Beide fuhren überrascht herum.
Angelo war aufgestanden und stützte sich nun schwer auf die Tischkante. Sein Gesicht wirkte eingefallen.
„Achtundzwanzigster März 1948“, erwiderte sie. „Übrigens bin ich davon ausgegangen, dass du mir nicht einfach Glauben schenken wirst. Deshalb habe ich dem Arzt die
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