JULIA EXTRA Band 0276
wollte Max widersprechen, doch dann erinnerte er sich, was John alles für seine ihm bis dato unbekannten Söhne getan hatte. Selbst nachdem der eine das Bella Lucia ruiniert hatte, wich John nicht von seiner Seite.
„Wissen deine Eltern schon, dass du nach Australien gehen willst?“
Louise schluckte. „Noch nicht.“
„Du bist verletzt worden, das verstehe ich, aber brich nicht alle Brücken zu deiner Familie ab.“
Familie, Familie … Warum konnte er nicht einmal mit der Familie aufhören? Als Junge hatte Max mehr Zeit mit Louise’ Familie verbracht als mit seiner eigenen.
„Ich schätze, der Knabe steckt auch mit dahinter“, vermutete er.
Louise erleichterte diese Frage, weil sie das Thema Familie vorläufig abhakte. „Meinst du damit Cal Jameson?“
„Wenn das der Junge ist, mit dem du zur Weihnachtsfeier gekommen bist und der dir den ganzen Abend schöne Augen gemacht hat, dann ja.“
„Er hat mir keine schönen Augen gemacht“, fuhr sie ihn an.
„Ach bitte. Du kamst als Weihnachtsmann verkleidet …“
„Ich komme jedes Jahr als Weihnachtsmann verkleidet!“
Seit sich der Zwist zwischen ihrem und Max’ Vater zugespitzt hatte, glich Heiligabend mehr denn je einem Minenfeld, und so hatte Louise es sich zur Gewohnheit gemacht, jedes Jahr als Weihnachtsmann auf der Feier zu erscheinen, einen Sack mit einer Kleinigkeit für jeden auf dem Rücken. Damit leistete sie ihren Beitrag zum Weltfrieden in der Valentine-Familie.
Und beim letzten Mal hatte es auch noch zwei neue Familienmitglieder gegeben: die Söhne, von denen John Valentine bis vor wenigen Monaten noch nichts wusste. Seine leiblichen Kinder, während Louise nur adoptiert war.
Mit ihrer abgewandelten Form des Weihnachtsmannes zeigte Louise unmissverständlich, was sie von der lebenslangen Lüge hielt, die die Familie ihr aufgetischt hatte. Statt des langen Mantels mit Bart trug sie einen roten Minirock mit passenden Stiefeln und ein winziges weißes Top, dazu einen leuchtend roten Bauchnabelring in Form einer Blüte, ein selbst kreiertes Geschenk von ihrer Halbschwester Jodie.
Beim Gedanken an diese in den Augen ihrer Familie skandalöse Aufmachung errötete Louise immer noch. Noch dazu kam sie in Begleitung von Jodies Schwager Cal Jameson, der einige Jahre jünger und unverschämt gut aussehend war. Und sie hatte sich von ihm küssen lassen, eigentlich nur, um Max eins auszuwischen.
„Und außerdem habe ich Familie in Australien“, lenkte sie ab. „Eine Schwester.“
„Die kennst du doch kaum“, warf er entsetzlich vernünftig ein.
„Stimmt. Trotzdem mag ich sie schon jetzt tausendmal mehr als dich. Nichts hat sich zwischen uns geändert, Max. Nichts!“ Damit erhob sie sich und nahm ihre Sachen. „Das hier habe ich wirklich nicht nötig.“
Sofort sprang auch Max auf und versperrte ihr den Weg. „Doch, du brauchst es, wie du die Luft zum Atmen brauchst. Allein der Gedanke, das Bella Lucia zu retten, beflügelt dich.“
„Nein!“
„Du bist eine Valentine, Lou. Das Bella Lucia liegt dir im Blut.“
Hatte er in den letzten Monaten nichts mitbekommen? Natürlich nicht. Er dachte ja an nichts anderes als an die Restaurants. Menschliche Gefühle kümmerten ihn nicht. „Das glaubst du wahrscheinlich tatsächlich.“
„Ich weiß es. Ich sehe …“
„Soll ich dir mal sagen, was ich morgen tun werde?“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Ich gehe zum Nachmittagstee in das Restaurant im obersten Stock der National Portrait Gallery. Die grandiose Aussicht wird mich trösten, falls sich das Ereignis als schwierig herausstellen sollte.“
„Welches Ereignis?“, fragte er verständnislos. „Willst du mit dem Australier Schluss machen?“
„Was?“ Sie wandte sich ab. „Cal ist nicht …“
„Was ist er nicht?“
„Er geht dich nichts an“, sagte sie schnippisch. „Morgen treffe ich meine Mutter, Max. Nicht deine Tante Ivy Valentine.“ Nicht die Frau, die sich ihr Leben lang als ihre Mutter ausgegeben hatte. „Ich treffe Patricia Simpson Harcourt, die Frau, die mir das Leben geschenkt hat. Und die mir die Identität meines Vaters verraten wird. Denn das Einzige, was ich von ihm weiß, ist, dass er nicht John Valentine heißt.“
„Lou …“
„Verstehst du jetzt? Siehst du endlich ein, wie falsch du liegst? In meinen Adern fließt kein Valentine-Blut. Die einzige Flüssigkeit, die mich mit euch verbindet, ist die Tinte auf der Adoptionsurkunde.“
„Bitte, Lou.“ Er nahm ihre Hand, damit sie
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