JULIA EXTRA Band 0276
nicht weglaufen konnte. „Überstürze nichts.“ Es fiel ihm schwer, aber er fügte hinzu: „Ich brauche dich.“
Seine Worte drangen ihr tief ins Herz. Immer schon war Max derjenige gewesen, auf den sich alle verließen, an den sich alle wendeten, wenn es ein Problem gab. Und er brauchte sie? Er gab zu, dass er überhaupt jemanden brauchte?
„Du … hast mich rausgeschmissen.“ Es war das Erste, was ihr in den Sinn kam. „Vor der versammelten Belegschaft. Damals hat es dich nicht geschert, dass ich zur Familie gehöre …“
„Das war ja das Problem, Lou“, fiel er ihr ins Wort. „Genau das war doch immer das Problem.“
„Ich verstehe nicht.“
Natürlich verstand sie. Schon als Mädchen hatte sie für ihn geschwärmt. Irgendwann hätte sie erwachsen werden und darüber hinwegkommen sollen. Aber das funktionierte nicht. Max brauchte sie nur zu berühren, und schon spielten ihre Hormone verrückt. Wenn sie nicht sofort hier rauskam …
„Wirklich nicht?“, fragte er. „Bist du so dumm?“
„Vielen Dank, Max.“ Sie entriss ihm ihre Hand. „Du hast mich gerade daran erinnert, weshalb ich eher sterben würde, als für dich zu arbeiten.“
Als Louise an die Tür kam, half ihr ein Kellner in den Mantel und hielt ihr dann die Tür auf. Eine Sekunde später trat sie in den kalten Nieselregen hinaus.
Wie benommen blieb Max sitzen und starrte vor sich hin.
„Soll ich Ihnen die Rechnung bringen, Sir?“
Erschrocken fuhr Max auf und wurde sich erst jetzt bewusst, dass er Louise folgen musste. So warf er ein paar Scheine auf den Tisch und verließ fluchtartig das Lokal.
Louise’ Schritte hallten auf dem Asphalt wider. Den Mantel trug sie trotz des inzwischen starken Regens offen, und schon jetzt war sie ganz durchnässt. Das machte Max Hoffnung.
Denn offenbar brodelte es vor Wut in ihr. Und das wertete er als gutes Zeichen. Wenn ihr alles so gleichgültig wäre, wie sie vorgab, würde sie sich nicht aufregen.
„Warte!“
Sie ging kein bisschen langsamer, und Max lief ihr hinterher. Als er sie erreichte, griff er nach ihrer Hand, und sie protestierte nicht.
„Du hast recht“, gestand er atemlos und strich ihr eine nasse Strähne hinters Ohr. „Du wurdest adoptiert.“
„Halleluja“, sagte sie. „Zum ersten Mal im Leben hast du mir zugehört.“
Die Worte klangen schnippisch, doch ihre Stimme war schmerzerfüllt. Mit großen Augen sah sie zu ihm, und Max wusste nicht, ob sich Tränen unter die Regentropfen mischten, die ihr die Wangen hinabrannen. Der Impuls, sie zu küssen, hätte ihn beinahe überwältigt.
Nicht jetzt …
Sein Leben lang hatte er dieser inneren Stimme gehorcht, Distanz gehalten und den eigenen Schmerz verleugnet.
„Ich habe dir zugehört“, widersprach er.
„Und?“
„Du bist nicht meine Cousine, Lou …“
„Dafür hast du dir wirklich eine Medaille verdient.“
Unter seinen Fingerspitzen fühlte sich ihre Haut wie nasse Seide an. Ihr Mund war so verlockend sinnlich. „Und da wir nicht verwandt sind …“, fuhr er mit zitternder Stimme fort, „… haben wir kein Problem, oder?“
Nicht jetzt, du Trottel. Mit einem Kuss machst du alles kaputt.
Aber sie war zurückgekommen.
„Nicht?“, fragte sie mit einem leichten Stirnrunzeln. „Du meinst, du kannst einfach aufkreuzen, mit den Fingern schnippen, und schon stehe ich zur Verfügung. Ich habe meine eigene Karriere, mein eigenes Unternehmen, mein eigenes Leben …“
„Ich weiß.“ Er blickte sie ernst an. „Ich weiß. Du bist mir nichts schuldig. Aber denk doch an das Bella Lucia, an deinen Vater …“
Da riss sie sich von ihm los, und Max bereute sofort, ihren Vater erwähnt zu haben. Wie sollte sie ahnen, dass er sie immer beneidet hatte, um ihre Familie, um richtige Eltern, die sie verwöhnten und liebten.
Ihr Herz hatte die Lüge von John und Ivy zu sehr verletzt, als dass sie dankbar sein könnte für all das, was sie erfahren hatte. Und wenn ausgerechnet Max sie dazu aufforderte, würde sie es erst recht nicht sein.
„Genug“, sagte er ruhig. „Du bist völlig durchnässt und musst nach Hause, um dich aufzuwärmen.“ Dann rief er ein Taxi, schob sie hinein und widerstand der Versuchung, sich zu ihr zu setzen.
„Wenn du morgen etwas Gesellschaft möchtest …?“
„Morgen?“
Louise konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sie waren nicht miteinander verwandt. Das verstand sie, zumindest theoretisch. Was er damit hatte sagen wollen, begriff sie jedoch nicht. Aber dass er drauf und
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