JULIA EXTRA Band 0276
musste er unwillkürlich schmunzeln. Er glaubte ihr kein Wort. Das Bella Lucia war Louise’ Leben, seit sie einen Löffel halten konnte, und sie wäre ohne zu zögern zurückgekommen, wenn Jack die Leitung übernommen hätte und nicht er.
Wie also konnte er sie dazu bringen, die bittere Pille zu schlucken und für ihn zu arbeiten?
Es musste eine Möglichkeit geben. Bei jedem anderen hätte er es mit Geld versucht. Aber für Louise bedeutete es mehr als ein Job. Und Geld verdiente sie selbst genug.
Wenn er sie nur geküsst hätte … Wenn du sie küsst, gehört sie dir …
Was zog man an, wenn man seine leibliche Mutter zum ersten Mal im Leben traf? Etwas Mädchenhaftes? Hübsche, feminine Kleider, wie Ivy sie ihr immer gekauft hatte? Die prüden Tops, die sie, kaum dass sie das Restaurant betrat, immer gegen ein schwarzes trägerfreies Oberteil eingetauscht hatte, damit Max die Augen aus dem Kopf fielen.
Louise war nie das perfekte kleine Mädchen gewesen, für das Ivy sie immer gehalten hatte. Mit sechzehn wünschte sie sich nichts sehnlicher, als Max’ Aufmerksamkeit zu erregen. Ihre dunkelsten Sehnsüchte kreisten ständig um ihn.
Als sie gestern schließlich in die Kissen gesunken war, kamen ihr viele neue Ideen für das Bella Lucia.
Trotzdem musste sie Max vergessen, musste das Bella Lucia vergessen. Und so wandte sie sich wieder den Kleidern zu, die ausgebreitet auf dem Bett lagen. Schlichte Kleider, elegante Kleider, Businesskostüme, Designerkleidung.
In Australien hatte sie so etwas nicht getragen. Dort, bei Jodie, glich sie einem lässigen Beachgirl, nicht nur vom Outfit her, sondern auch innerlich. Doch diese innere Gelassenheit fehlte ihr längst wieder, und Melbourne schien ewig her.
Dann fiel ihr der schockierend kurze Minirock in die Hände.
Heiligabend hatte er gewirkt.
Ihre Mutter hatte kein Wort darüber verloren, trotz ihres offensichtlichen Entsetzens. Stattdessen hieß sie Cal höflich in der Familie willkommen.
Max dagegen hatte Distanz gewahrt. Ob das besser war als eine Beleidigung, vermochte sie nicht zu sagen. Jedenfalls wandte er sich schnell Maddie zu und flirtete heftig mit ihr, obwohl sie mit Jack gekommen war.
Mit dem Rock hätte sie am liebsten auch die Erinnerungen an jenen Abend weggeschoben. Warum wollte er überhaupt heute mitkommen?
Sie brauchte niemanden. Weder die Mutter, die sie einfach weggegeben hatte, noch die Mutter, die sie ihr Leben lang belogen hatte. Und schon gar keine Männer, die so zuverlässig waren wie die Wettervorhersage.
Zwanzig Minuten später ging Louise ins Büro. In einem pflaumenfarbenen Kostüm, das raffiniert tailliert geschnitten war und dessen Rock ihre schönen Beine vortrefflich zur Geltung brachte. Dazu hohe Stiefel und eine glänzende Strumpfhose. Die edle Spitzenunterwäsche trug sie zu ihrem eigenen Vergnügen.
„Wir kommen ohne dich zurecht“, sagte ihre Assistentin Gemma und hielt Louise den Mantel hin. „Das Taxi wartet.“
„Danke. Falls Oliver anruft …“
„Ich kümmere mich um alles. Geh jetzt.“
„Bin schon weg.“
Louise hatte gedacht, der Tag würde sich ewig hinziehen, doch dann verging er wie im Flug. Zwischen den Meetings und all den Telefonaten fand sie kaum Zeit, sich Gedanken über das Treffen mit der Frau zu machen, der sie das Leben verdankte.
Aber jetzt bekam sie Angst. Max hatte recht: Sie wünschte sich jemanden, der ihr beistand.
Die Zeiger der Uhr von St. Martin-in-the-Fields zeigten auf kurz nach vier, als sie die National Portrait Gallery betrat.
Sie widerstand der Versuchung, sich umzusehen, denn sie wünschte sich inständig, dass Max da wäre.
Im Lift drückte sie den Knopf für die oberste Etage, wo das Restaurant lag. Von dort oben konnte man den Trafalgar Square sehen, in der Ferne Westminster Abbey und das London Eye …
Von Jodie wusste Louise bereits alles über ihre Mutter, obwohl sie vermutete, dass ihre Halbschwester die negativen Seiten stark abgemildert hatte, damit sie sich ihr eigenes Bild machte.
Und sie kannte Fotos.
Zögernd trat sie aus dem Aufzug. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie das Restaurant erreichte. Sie hatte gedacht, sie müsse sich lange umsehen, aber sie entdeckte ihre Mutter sofort. Patricia mochte Anfang fünfzig sein, doch sie war immer noch eine Schönheit.
Das rote Haar, dem sie zweifellos mit künstlicher Farbe auf die Sprünge half, umrahmte das feine Gesicht graziös. Die langen Tanzbeine hatte sie elegant
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