JULIA EXTRA Band 0276
übereinandergeschlagen.
Anstatt aus dem Fenster zu schauen, unterhielt sie sich angeregt mit dem Mann vom Nebentisch, das Kinn auf die Hand gestützt. Ihr kehliges Lachen erfüllte den Raum. Der Mann konnte den Blick nicht von ihr wenden, ebenso wenig wie Louise.
Einen Moment hielt sie inne. Ein Kellner trat auf sie zu, doch sie ignorierte ihn. Sah nur ihre Mutter, und als spürte diese die Gegenwart ihrer Tochter, drehte sich Patricia Simpson Harcourt um. Ihre Blicke trafen sich.
3. KAPITEL
Ihre Mutter stand auf, und Louise trat auf sie zu. Alles kam ihr vor wie in Zeitlupe.
Keine von beiden sprach ein Wort, dann fielen sie sich in die Arme und hielten einander eine scheinbare Ewigkeit lang einfach nur fest. Irgendwann drangen die Geräusche der Umgebung wieder in ihr Bewusstsein: Gespräche von Gästen, Gläserklirren, und dann hielt Patricia Louise eine Armbreite von sich und musterte sie.
„Lass dich anschauen“, sagte sie schließlich. „Du bist so schön. Und du hast einen guten Geschmack in der Wahl deiner Schuhe.“
Louise schüttelte den Kopf. Schuhe? „Es ist wohl offensichtlich, von wem ich das habe …“ Sie stockte. „Ich weiß gar nicht, wie ich dich nennen soll.“
„Patsy, Darling, nenn mich Patsy.“ Sie lächelte. „Ich habe bereits bestellt“, fügte sie hinzu und setzte sich. „Louise? Der Name passt zu dir. Ich wollte dich anders nennen …“
„Und wie?“
„Zoë. Ich wollte dich Zoë nennen.“
„Das hätte mir gefallen.“
„Ja, aber es hat nicht sollen sein.“
Louise wollte am liebsten sofort die große Frage stellen. Warum? Stattdessen sagte sie: „Ich habe erst vor wenigen Monaten erfahren, dass ich adoptiert wurde. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich mich früher gemeldet.“
„Nichts geschieht ohne Grund. Vor zehn Jahren war ich noch nicht der Mensch, der ich heute bin. Vielleicht wäre ich damals nicht gut für dich gewesen.“ Sie lächelte. „Doch die Welt verändert sich, und jetzt ist es höchste Zeit, dass wir uns endlich kennenlernen.“
„Vielleicht …“ Doch sie dachte dabei nicht an ihre Mutter. Was passiert war, hatte nicht in ihrer Hand gelegen. Mit Max verhielt es sich anders. Hier konnte sie das Schicksal selbst beeinflussen.
Mit einem Mal kribbelte ihr ganzer Körper vor Freude.
„Louise?“
„Ja?“
„Ich sagte, wir sollten nicht darüber nachgrübeln, was hätte sein können.“ Patricia sah Louise besorgt an. „Geht es dir gut? Das alles muss ein gewaltiger Schock für dich sein.“
„Nein, mir geht es gut.“ … wir haben kein Problem … „Kann ich dich etwas über meinen Vater fragen? Wie heißt er?“
„Jimmy. Jimmy Masters.“ Patricia seufzte. „Er fuhr ein Motorrad und sah aus wie James Dean. Er war absolut unwiderstehlich. Nicht, dass ich es lange versucht hätte …“, gestand sie mit einem reuevollen Lächeln. „Ihm zu widerstehen, meine ich. Doch er suchte das Weite, sobald ich ihm gesagt habe, dass er Vater würde, und ward nie mehr gesehen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich wollte dich nicht abgeben, Louise. Aber alle sagten, in einer Familie hättest du es besser.“ Sie nahm die Hand ihrer Tochter. „Und ich muss dich nur ansehen, um zu wissen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.“
Hatte sie das? Das wollte Louise eigentlich nicht hören. Sie sehnte sich nach Reue, stattdessen erkannte sie, dass Patricia ihrerseits Louise’ Rückversicherung brauchte. Sie wollte hören, dass es ihrer Tochter an nichts gemangelt hatte.
„Ich hatte eine glückliche Kindheit.“
Und das stimmte. Sie war geliebt und verwöhnt worden, hatte alles bekommen, was sie sich wünschte. Alles, außer der Wahrheit und außer der Schwester, von deren Existenz sie so viele Jahre nichts gewusst hatte.
Alle wussten es. Ihre Großeltern, Max’ Eltern, und alle hatten gelogen. Diese Erkenntnis schmeckte bitter. Dennoch verdankte sie ihnen ein schönes Leben. Sie hatte immer im Bella Lucia helfen wollen, sobald Max sie nett darum bäte. Sie wollte ihren Adoptiveltern zurückgeben, was sie ihr geschenkt hatten, wollte ihr Können und ihre Kraft in den Dienst des Familienunternehmens stellen. Nur durfte sie dafür nicht das eigene Unternehmen und die hart erkämpfte Unabhängigkeit aufgeben.
Das war wichtiger als alles andere. Ihr Fels in der Brandung.
Und deshalb verstand sie, was das Bella Lucia Max bedeutete. Als seine Eltern ihn aufs Internat schickten, nur um ihn loszuwerden, als seine Mutter ihn für
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