JULIA EXTRA Band 0281
sie ist etwas ganz Besonderes. Wenn sie ein krankes Tier findet, nimmt sie es mit nach Hause und pflegt es gesund … und wenn sie Geld hat, gibt sie es den Obdachlosen auf der Straße.“
Tamsin blinzelte heftig, um ihre aufsteigenden Tränen zurückzudrängen. „Sie verdient wahrlich eine bessere Familie, aber sie hat doch nur mich …“
Auch Diego hatte Tiere über alles geliebt. Erinnerungen an seinen kleinen Bruder überschwemmten Marcos mit einer Macht, die ihn erschreckte. Plötzlich fiel ihm wieder ein, wie er ein ganzes Jahr lang versucht hatte, die Eltern davon zu überzeugen, dass er ohne einen eigenen Hund nicht leben könne. Er verfasste ständig Gutscheine für Hilfe im Haushalt, studierte Tag und Nacht Bücher über Hundeerziehung und argumentierte so hartnäckig und geschickt, dass sie schließlich nachgaben.
Eine Woche vor Diegos zehntem Geburtstag teilten sie ihr Geheimnis mit Marcos. Diego würde tatsächlich einen eigenen Hund bekommen, sobald sie nach Spanien zurückgekehrt waren.
Aber Diego bekam seinen Hund doch nicht, weil er, zusammen mit seinen Eltern, bei einem Autounfall auf der M25 außerhalb von London ums Leben kam. Später erfuhr Marcos, dass sein kleiner Bruder erst eine Stunde nach dem Zusammenstoß verstorben war. Seitdem quälte ihn der Gedanke, wie es Diego in dieser letzten Stunde ergangen sein mochte. Wie sehr wünschte er sich, bei ihm gewesen zu sein … seine Hand zu halten … oder an seiner Stelle zu sterben.
Abrupt erhob sich Marcos aus dem Korbsessel.
„Also, ich habe dir die Wahrheit gesagt“, meldete Tamsin sich wieder. „Willst du dich nicht revanchieren und mir doch noch verraten, warum du Sheldon und Aziz so sehr hasst?“
„Der Grund tut nichts zur Sache“, erklärte er kalt. „Wichtig ist nur, dass sie bezahlen. Hast du dich nicht darüber gewundert, dass Winter Cosmetics so plötzlich vor der drohenden Pleite steht? Abgesehen davon, dass dein Bruder der unfähigste Geschäftsmann ist, den ich je getroffen habe, bin ich ihm in den letzten fünf Jahren dabei behilflich gewesen, das Familienunternehmen zu ruinieren. Ebenso wie ich dafür gesorgt habe, dass sämtliche von Aziz’ Investitionen fehlschlugen und jeder Spieltipp sich als ein weiterer Nagel zu seinem Sarg erwies.“
„ Du hast …?“ Tamsin sah Marcos sekundenlang fassungslos an, dann verhärtete sich ihr Blick. „Weißt du vielleicht auch, aus welchen Mitteln er in den letzten Monaten sein ausschweifendes Luxusleben finanziert hat?“
„Keine Ahnung, und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht“, erwiderte er. „Kredithaie? Wenn ja, umso besser. Er ist wie Aziz, für ihn zählen nur Status und Ansehen. Sie umzubringen wäre nur eine halb so wirksame Strafe, wie ihnen diesen Boden zu entziehen und zu beobachten, wie sie langsam zugrunde gehen an ihrer verdammten Eitelkeit und Selbstsucht.“
„Du bist nicht besser als sie“, murmelte Tamsin.
Wütend fuhr Marcos herum. „ Was?“
„Du bist ebenso selbstsüchtig und herzlos und verletzt unschuldige Menschen, nur weil sie das Pech haben, zufällig deinen Weg zu kreuzen.“
„Wen meinst du damit? Dich vielleicht?“, fragte er höhnisch.
„Nein …“ Plötzlich wurde ihr Blick ganz weich und traurig. „Ich bin wenigstens alt genug, um auf mich selbst zu achten.“
Was, zur Hölle, bedeutete das nun wieder? Marcos hatte endgültig genug von nebulösen Andeutungen und davon, ständig auf der Hut sein zu müssen.
„Du beabsichtigst also immer noch zu fliehen?“, fragte er knapp.
„Ja.“ Ruhig begegnete sie seinem sengenden Blick. „Du kannst mich hier nicht festhalten.“
„Nicht …? Na, dann lass mich dir helfen. Ich werde Nelida anweisen, mit dir eine Schlossführung zu machen, damit du deinen Fluchtweg planen kannst.“ Seine Stimme klang sarkastisch. Er wandte sich zum Gehen, drehte sich an der Tür aber noch einmal um. „Aber ich warne dich, Tamsin … keine Spielchen mehr. Noch einen solchen Kuss wie eben, und es gibt kein Zurück für dich. Biete mir noch einmal deinen verlockenden Körper an … und du bist mein.“
Nachdem er gegangen war, tigerte Tamsin schäumend vor Wut und Empörung auf dem Balkon hin und her. Was bildete sich dieser arrogante Kerl eigentlich ein? Frustriert stützte sie sich auf die steinerne Brüstung und starrte hinab in die Tiefe. In der Dunkelheit konnte sie nicht einmal sehen, wie hoch der Balkon lag.
Aber ihr Entführer hatte seinen ersten schwerwiegenden Fehler
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