JULIA EXTRA Band 0281
… was du nur willst, um ihn davon zu überzeugen, dass ich vor Angst sterbe. Ich kann behaupten, du würdest mich foltern und er sei meine letzte Rettung.“
Auf Marcos’ Gesicht stritten Verblüffung und Misstrauen miteinander – Letzteres überwog. „Was geht eigentlich wirklich in deinem hübschen Köpfchen vor sich?“, überlegte er laut. „Hast du etwa vor, ihm versteckte Hinweise über deinen Aufenthaltsort zu geben?“
„Wenn das deine Befürchtung ist, telefoniere ich in deinem Beisein mit Aziz“, schlug Tamsin vor.
Marcos schüttelte den Kopf. „Ich verstehe einfach nicht, warum du so scharf darauf bist, die Ehefrau dieses Ungeheuers zu werden.“
„Ich habe meine Gründe … genau wie du. Und die möchte ich ebenso wenig mit dir teilen wie umgekehrt.“
„Gut, ich kann dir also nicht vertrauen …“ Er senkte den Blick und begann, Aziz’ Nummer in sein Handy zu tippen. Eine Telefonnummer, die seit Ewigkeiten in seinem Gedächtnis gespeichert war. „Ich habe schon viel zu lange …“
Mit einer wieselflinken Bewegung schnappte Tamsin sich das Handy und warf es über die Balkonbrüstung. Sekundenlang herrschte angespanntes Schweigen zwischen ihnen. Tamsin hielt den Kopf hoch erhoben, ihre Augen waren weit geöffnet. In ihnen stand keine Furcht, sondern eiserne Entschlossenheit. Und Marcos fragte sich, wie er Tamsin Winter je für ein gedankenloses Partygirl hatte halten können.
„Warum hast du das getan?“, fragte er gefährlich leise.
Mit einem Augenzwinkern versuchte sie die Stimmung zu retten. „Wozu braucht man heutzutage überhaupt noch ein Handy? Ohne Handy lebt es sich viel entspannter.“
„Warum hast du mein Handy vom Balkon geworfen?“
Da er offenbar nicht bereit war, die Sache von der sportlichen Seite zu nehmen, ging Tamsin spontan zum Gegenangriff über. „Du hast mich beleidigt und verletzt!“
„Ich warte immer noch auf eine Antwort.“
„Ich wollte nicht, dass du mit ihm sprichst!“, rief sie diesmal in echter Verzweiflung aus. „Er darf die Hochzeit auf keinen Fall absagen! Ich muss ihn davon überzeugen, dass nur ich es bin, die er will! Sonst wird Sheldon …“
„Was wird er?“
„Nichts. Ich liebe Aziz! Ich vermisse ihn und muss unbedingt mit ihm reden!“
„Lügnerin. Du liebst ihn genauso wenig, wie du mich liebst. Du spielst nur mit mir … den ganzen Abend schon. Was ist dein Plan? Hast du vielleicht inzwischen einen Weg gefunden, deinen Bruder zu benachrichtigen, und hältst mich nur hin?“
Als Tamsin nicht antwortete, umfasste er ihre Oberarme und schüttelte sie unsanft. „Rück endlich raus mit der Sprache! Verdammt, sonst werde ich …“
„Bitte, nicht …“ Alle Kraft schien sie plötzlich verlassen zu haben. Tamsin zitterte am ganzen Körper, ihr Gesicht war totenblass. Erst jetzt begriff Marcos voller Entsetzen, dass sie offenbar angenommen hatte, er würde sie schlagen. Erschüttert ließ er die Arme sinken.
„ Madre de Dios, Tamsin! Ich würde dir nie wehtun!“, stieß er heiser hervor und strich ihr sanft über die Wange. Als sie zurückzuckte, verengten sich seine Augen, und er fluchte unterdrückt. Dann legte er einen Finger unter ihr Kinn und hob es an, bis er ihr Gesicht im Schein der antiken Außenlampe genauer betrachten konnte. Halb verborgen unter ihrem weichen rotgoldenen Haar entdeckte er ein paar hässliche, fast verheilte Schrammen.
„Wer hat dich geschlagen? Aziz?“, fragte er gepresst.
„Nein“, wisperte sie. „Nicht Aziz …“
Er kannte die Antwort, auch ohne sie zu hören. „Dein Bruder“, sagte er grimmig.
Als Tamsin zu ihm aufschaute, glitzerten Tränen in ihren nachtblauen Augen. „Mein Vater hat mich ständig geschlagen, Sheldon wenigstens nur dieses eine Mal“, bekannte sie voller Scham. Mit einem unsicheren Auflachen verschränkte sie die Arme vor der Brust, als wolle sie sich schützen. „Ich habe versucht, mit meiner Schwester vor ihm wegzulaufen. Wir sind nicht weit gekommen, ehe er uns einholte und nach Tarfaya brachte. Mit der Sahara auf der einen und dem Ozean auf der anderen Seite war es nahezu unmöglich zu fliehen.“
„Warum hast du versucht wegzulaufen?“
Keine Antwort.
„Wolltest du vor der Hochzeit mit Aziz fliehen?“ In Marcos’ Kopf ging es drunter und drüber. Das Ganze machte einfach keinen Sinn. „Wenn dir Aziz dermaßen zuwider ist, warum willst du ihn jetzt immer noch heiraten?“
„Ich kann dir nicht trauen“, murmelte sie dumpf. „Du hast mich
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