Julia Extra Band 0292
sich ringen, ob sie ihn einladen sollte, sie wieder zu küssen. Hatte sie nichts aus der Erfahrung mit dem Vater ihres Babys gelernt? Daraus, wie kühl Eduard sie früher einmal zurückgewiesen hatte?
Plötzlich wusste Carissa nicht, warum sie weinte. Weil sie hereingelegt worden war oder weil Eduard nicht der Richtige für sie war?
Er gab ihr ein feines Batisttaschentuch, auf das sein Wappen gestickt war. Eine Mahnung – falls sie noch eine gebraucht hätte –, dass er gesellschaftlich weit über ihr stand. Sie putzte sich die Nase und tupfte sich die Tränen ab. „Normalerweise bin ich nicht so eine Heulsuse.“
„Du bist ja auch nicht ganz gesund. Vielleicht sollten wir uns noch einmal darüber unterhalten, wenn du völlig wiederhergestellt bist.“ Eduard zog sie an sich und begann, ihr den Rücken zu streicheln.
Seine kreisende Handbewegung war so tröstlich, dass Carissa fast vor Behagen geseufzt hätte. Umso mehr ein Grund, Abstand zwischen sie beide zu bringen. Warum fiel ihr das so schwer?
„Eduard, du kannst mich jetzt loslassen. Ich habe mich wieder beruhigt.“
„Vielleicht will ich dich nicht loslassen. Es ist schön so.“
Das fand sie auch. Sie hatte sich unglaublich allein gefühlt, nachdem ihr Vater gestorben war und Mark ihr gemeinsames Kind abgelehnt hatte. Ihr Vater war ein Einzelkind gewesen, zu seinen Eltern in England und zur Familie ihrer Mutter hatte er schon Jahre vor seinem Tod keinen Kontakt mehr gehabt. Abgesehen von ihrem Bruder hatte Carissa niemanden mehr.
Bestimmt empfand sie nur deshalb solche Lust in Eduards Armen, weil sie einsam war. Unfähig, zu widerstehen, sah sie ihn an. Er musste ihr das Verlangen von den Augen ablesen, denn er neigte den Kopf und küsste sie fordernd auf den Mund.
Bleib ganz ruhig!, befahl sich Carissa. Hatte sie sich nicht geschworen, nie wieder einem Mann die Gelegenheit zu geben, sie schlecht zu behandeln? Also wer war die Frau, die Eduards Kuss leidenschaftlich erwiderte?
Ihr wurde schwindlig, als Eduard mit ihrer Zunge zu spielen begann. Erregung durchflutete sie und machte es ihr unmöglich, distanziert zu bleiben. Wann war sie dazu bei Eduard de Marigny jemals imstande gewesen? Als Teenager hatte er sie mit seinem guten Aussehen und seinem zurückhaltenden Benehmen bezaubert. Als Mann sah er noch besser aus und strahlte eine Stärke und Selbstsicherheit aus, die dem Jungen gefehlt hatten. Das Ergebnis war buchstäblich atemberaubend.
„Ich kann das nicht“, sagte sie, fast überwältigt von Empfindungen.
„Du machst es sehr gut“, erwiderte er.
Sie drückte die Handflächen gegen seine Brust, um zu zeigen, dass es ihr ernst war. „Nein!“
Verwirrt blickte er sie an. „Warum nicht, Cris? Für mich fühlt sich dies richtig an.“
„Was du nicht sagst!“ Ungewollt klang es verbittert.
„Was soll das heißen?“, fragte er stirnrunzelnd.
Eigentlich hatte sie ihn nicht daran erinnern wollen, aber jetzt konnte sie nicht mehr zurück. „Mit fünfzehn habe ich dich geküsst, und du hast mich behandelt, als wäre ich Abschaum.“
„Ich war selbst erst achtzehn.“ Eduard ließ sie los. „Ich hatte nicht viel Erfahrung mit Frauen.“
Inzwischen hatte er sie. Bei dem Gedanken überkam Carissa Eifersucht. „Ich glaubte, du würdest dich zu mir hingezogen fühlen.“
Eduard seufzte. „So war es auch.“
Das hatte sie nicht erwartet. „Und warum bist du mir dann aus dem Weg gegangen?“
„Ich wusste nicht, wie ich mit einer verliebten Fünfzehnjährigen fertig werden sollte. Dass ich dich nicht ermutigen durfte, war doch klar.“
„Weil ich nicht adlig bin?“
Eduard hob ihr Kinn an und blickte ihr in die Augen. „Weil du noch ein Kind warst.“
Seine Berührung drohte ihre Abwehrmechanismen ins Wanken zu bringen. „Nur gut, dass es nur eine Schwärmerei war. Ich bin darüber hinweggekommen.“
„Wirklich, Cris?“
„Natürlich.“ Doch das Zittern ihrer Stimme strafte ihre Worte Lügen.
Aber Eduard bemerkte anscheinend nichts. „Dann kann ich nur sagen, dass es mir leidtut. Ich dachte gerade, du wolltest, dass ich dich küsse.“
Wenn er wüsste. „Gefühle ändern sich“, erwiderte Carissa gespielt gelassen.
„An meiner Zuneigung zu dir hat sich nichts geändert.“
„Bitte nicht, Eduard.“ Zu erfahren, dass er sie doch gerngehabt hatte, war fast unerträglich.
„Gibt es jemanden in deinem Leben?“
„Ja.“ Dass dieser Jemand ihr ungeborenes Kind war, sagte sie nicht.
„Ich verstehe.“
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