Julia Extra Band 0292
zögerte. „Brauchen wir nicht eine Taschenlampe?“
„Die Wege werden vom Mondlicht beleuchtet. Früher bin ich hier bei Tag und Nacht herumgewandert.“
„Ich wette, von den nächtlichen Ausflügen wusste dein Kindermädchen nichts.“
„Du hast recht.“ Er drehte Carissa herum, sodass sie zum Haus blickte. Wie zart und zerbrechlich sie sich anfühlte … Mühsam ordnete er seine Gedanken. „Siehst du das dritte Fenster von links?“
„Neben dem die alte Weißbuche steht?“
„Ja. Nachdem ich angeblich eingeschlafen war, bin ich aus dem Fenster und am Baum nach unten geklettert.“
Carissa zog die Augenbrauen hoch. „Was war damit, die Ruhe zu genießen?“
„Was wissen Zehnjährige davon?“, gab Eduard zurück.
Nicht viel, wenn sie alle so wären wie er, dachte Carissa. Zwar mochte Mathiaz sportlich aktiver sein, aber soweit sie sich erinnerte, war Eduard als Teenager selten lange untätig geblieben. Und er hatte sich in dieser Hinsicht wenig verändert, wie sie an der Leidenschaft erkannt hatte, mit der er Pläne für den Landsitz schmiedete.
Ob ihr Kind später auch so tatkräftig sein würde?
Dass sie neuerdings dazu neigte, ihr Kind mit Eduard in Verbindung zu bringen, beunruhigte Carissa. Suchte sie unbewusst nach einer Vaterfigur für ihr Baby? Oder ging es um sie selbst?
Wie auch immer, ein Mondscheinspaziergang mit ihm würde die Situation nicht einfacher machen.
„Ich gehe lieber ins Haus“, sagte Carissa.
„Soll ich mitkommen?“, fragte Eduard.
„Nein, danke.“ Das hatte ihr gerade noch gefehlt!
„Dann vertrete ich mir die Beine und helfe dir danach aufräumen.“
Als Eduard zurückkehrte, musterte er die saubere Küche. „Du konntest wohl nicht warten?“
Carissa hatte nicht warten wollen. Gemeinsam abzuspülen mochte ja nicht gerade romantisch sein, doch inzwischen ging ihr jede Art von Zusammensein mit ihm unter die Haut.
Wie jetzt zum Beispiel.
Er sah verärgert aus. „Kein Wunder, dass du total erschöpft bist. Ich habe dich nicht gebeten zu bleiben, weil ich ein Hausmädchen brauche.“
„Ich bin daran gewöhnt, selbst aufzuräumen. Schließlich bin ich nicht mit Dienstboten aufgewachsen, die mir auf den leisesten Wink gehorchen.“
„Anders als ich“, sagte Eduard gefährlich leise.
Carissa war zu nervös, um die Warnung zu beachten. „Wenn du dich angesprochen fühlst, bitte.“
Eduard kam auf sie zu, blieb dann aber unvermittelt stehen. „Das passt nicht zu dir, Cris. Seit du diesen Anruf erhalten hast, bist du ein Nervenbündel. Mark Lucas belästigt dich doch nicht etwa?“
Sie wünschte, sie könnte mit Ja antworten. Weil es irgendwie stimmte. Nur müsste sie dann erklären, warum Mark sie sehen wollte. Dazu war sie noch nicht bereit. Sie würde Eduards Enttäuschung nicht ertragen.
Dass er vielleicht nicht von ihr enttäuscht sein würde, sondern ihr würde helfen wollen, war noch beunruhigender.
„Wir sind im Streit auseinandergegangen. Ich habe nicht damit gerechnet, wieder von ihm zu hören.“ Alles wahr so weit.
„Und jetzt?“
„Ich weiß nicht.“ Auch wahr.
Blitzschnell war Eduard bei ihr, und sie war in seinen Armen und schmiegte sich an ihn, wie sie es schon den ganzen Abend hatte tun wollen. Sie brauchte diesen Moment, um sich zu fassen. In wenigen Sekunden würde sie sich von Eduard losmachen und ins Bett gehen. Allein.
Die Sekunden wurden zu Minuten. Er streichelte ihr das Haar, und es war ein so angenehmes Gefühl, dass sie seufzen wollte vor Behagen. Als er mit den Lippen flüchtig ihre Schläfe streifte, breitete sich sofort eine brennende Hitze in Carissa aus. Sie schloss die Augen und neigte den Kopf zurück.
Aufstöhnend umfasste Eduard ihr Gesicht und küsste sie auf den Mund. Sie gab sich dem Kuss hin und sagte sich, sie lasse sich nur von Eduard trösten. Bis ihr bewusst wurde, dass sein Verhalten weit über Trost hinausging und sie auf ein gefährliches Terrain führte, das zu erforschen sie nicht bereit war.
Eduard spürte, wie sie sich verkrampfte, und sah auf. „Ich weiß, wir sollten es nicht tun.“
Als er sie losließ, trat sie zurück, nahm ein Geschirrtuch und begann, die Kristallgläser abzutrocknen.
Seine rasende Erregung verriet ihm, dass er fast seinen Vorsatz gebrochen hätte, Carissa wie eine Schwester zu behandeln. Der flotte Spaziergang durch den Regenwald hatte seine Leidenschaft abkühlen sollen. Stattdessen hatten die wohlriechende Abendluft und der Mondschein sein Blut erst recht in
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