Julia Extra Band 0292
rechtmäßig angetraute Frau und Witwe. Deshalb habe ich die englische Form Vincent gewählt. Damit kann ich wohl kaum jemand wehtun oder den Namen einer der ältesten und angesehensten Familien Italiens besudeln!“, konnte sie sich nicht verkneifen zu sagen.
Der irritierte Ausdruck auf Romanos Gesicht verunsicherte sie allerdings.
„Wie auch immer, ich musste natürlich annehmen, dass du zu diesem Komplott gehörst und damit auch die Bedingungen mitformuliert hast.“
„Komplott?“, echote er verblüfft. „Und was für Bedingungen?“
„Die dein Vater mir aufgezwungen hat, als er mich zwang, ihm meinen Sohn zu überlassen!“
„Mein Vater soll dich gezwungen haben, ihm Giorgio zu überlassen?“
Jetzt hatte Romano tatsächlich Mühe, seine Aufmerksamkeit zwischen dem Fliegen der Maschine und der ungeheuerlichen Behauptung aufzuteilen, mit der Libby ihn konfrontierte.
„Ich habe mein Kind nicht freiwillig weggegeben, Romano“, sagte Libby mit einer Stimme, die sie nicht als ihre erkannte. „Nach Giorgios Geburt war ich sehr krank und schwach, sodass ich nicht einmal zu Lucas Begräbnis kommen durfte. Und als ich endlich wieder nach Italien reisen konnte, haben mir deine Eltern eröffnet, dass sie das Kind ihres verstorbenen Sohnes … ihr Enkelkind adoptieren wollten …“
Sie brach ab und schluckte mühsam, ehe sie fortfuhr: „Zunächst gaben sie sich noch freundlich und umgänglich, doch sobald klar war, dass ich mich unter keinen Umständen von Giorgio trennen würde, zog dein Vater andere Saiten auf.“
„Aber … er hat dir eine Menge Geld gegeben, das du akzeptiert hast“, erinnerte Romano sie.
„Oh ja, er war sehr großzügig!“, höhnte Libby, doch ihre Stimme schwankte bedenklich.
„Wie hätte er eine entschlossene Mutter sonst dazu bringen können, auf ihr Baby zu verzichten?“, fragte er.
„Durch moralische Daumenschrauben und einen versteckten Trumpf im Ärmel“, murmelte sie wie erloschen. „Deinem Vater gehörte das Cottage, in dem wir wohnten. Dein Großvater hatte es unserer Familie mietfrei zur Nutzung überlassen, nachdem Dad gesundheitsbedingt seinen Gärtnerjob aufgeben musste. Er lebte seit seiner Kindheit in dem Cottage, und die Ärzte warnten mich, dass es sein Ende bedeuten würde, wenn er gezwungen wäre, es zu verlassen. Selbst wenn nicht körperlich, dann auf jeden Fall psychisch. Schwerkrank das geliebte Heim aufgeben zu müssen würde ihm das Herz brechen und zum sicheren Tod führen.“
Sie suchte Romanos Blick, doch er schaute weiter geradeaus, und sein hartes Profil gab nichts preis.
„Ich wollte Maurizios Geld nicht, doch ich dachte, wenn ich mich weigerte, es anzunehmen, könnte er das als Affront auffassen und womöglich glauben, dass ich meinen Teil der Abmachung nicht einhalten würde. Ich hatte einfach furchtbare Angst um Dad …“
Romano sprach kein einziges Wort, bis sie auf einem kleinen Flughafen landeten. Nie hatte sie ihn so erstarrt und düster gesehen. Wenn er vorher Verwirrung gezeigt hatte, war sein Gesicht jetzt völlig blutleer, die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst, und seine ganze Haltung signalisierte Abwehr.
„Wenn du wirklich geglaubt hast, dass ich in eine derartig miese, menschenverachtende Erpressung verwickelt sein könnte, dann kennst du mich kein bisschen.“ Er sprach sehr ruhig und beherrscht, dennoch zeugte jedes Wort von unterdrückter Wut. „Wie es aussieht, haben wir etwas Grundlegendes zu klären, cara mia …“
6. KAPITEL
„Ich war noch nie zuvor auf Capri“, sagte Libby und schien selbst überrascht von dieser Tatsache zu sein. „Nicht einmal im Rahmen meines Modeljobs.“
Sie saß auf dem hinteren Sitz einer Limousine mit Chauffeur, die sie bereits am Flughafen erwartet hatte, und schaute neugierig aus dem Seitenfenster. Überall die hübschen weißen Häuser mit den bunt blühenden Pflanzen vor den Fenstern und die vielen schmalen Gassen in der kleinen Stadt, die den Namen der Insel trug und auf einem zerklüfteten Hügel über dem blauen Meer thronte.
„Na, dann steht dir noch ein großes Vergnügen bevor“, versprach Romano und nahm ihre Hand in seine, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt. Und als wenn sie nicht sieben Jahre lang die ärgsten Feinde gewesen wären.
Doch er behielt recht. Den pittoresken und gleichzeitig mondänen Ort Capri zu erkunden war tatsächlich ein reines Vergnügen, entschied Libby, als sie in einem überdachten Wandelgang vor einem
Weitere Kostenlose Bücher