Julia Extra Band 0292
ihres Sohnes, beugte sich herab und küsste ihn liebevoll auf die Wange. „Ich werde immer eine Rolle in deinem Leben spielen, Giorgio“, versicherte sie ihm mit fester Stimme.
Auf irgendeine Art …
Sein vertrauensvolles Lächeln schnitt ihr ins Herz.
„ Zio Romano sagt, er hat eine Überraschung für mich, aber das ist ein Geheimnis, und deshalb darf ich es niemandem verraten.“
Libby lachte leise. „Dann darfst du es auch mir nicht erzählen“, bremste sie ihn, da nicht zu übersehen war, dass der kleine Kerl fast platzte vor Anspannung. „Geheimnisse sind Vertrauenssache.“ Zärtlich raufte sie sein Haar, bevor sie ihm einen Gutenachtkuss gab und leise das Zimmer verließ.
Nachdem Libby sich geduscht und Shorts und T-Shirt gegen eine weiße Bluse zur seidenen schwarzen Hose ausgetauscht hatte, wollte sie ins Untergeschoss hinuntergehen, als ihr Blick zufällig durchs Fenster auf Romano und Maddalena fiel, die in der Nähe des Brunnens standen und in ein offenbar ziemlich hitziges Gespräch vertieft waren. Man sah es an ihrer Körperhaltung und den typisch italienischen Gesten, die Unwillen und Verärgerung ausdrückten.
Und als Maddalena aufgebracht davonstürmen wollte, hielt Romano sie am Handgelenk zurück und zwang sie damit, sich ihm wieder zuzuwenden. Seinen Gesichtsausdruck konnte Libby nicht erkennen, da er mit dem Rücken zu ihr stand. Einen Augenblick verharrte sie wie eingefroren, dann warf sich ihm Maddalena in die Arme.
Unwillkürlich stieß Libby einen kleinen Protestschrei aus, und ehe sie mit ansehen musste, wie die beiden Liebenden sich küssten, wandte sie sich hastig ab und flüchtete die Treppe hinunter. Wenn sie bloß von hier verschwinden könnte! Aber das war undenkbar. So etwas würde sie weder ihrem Sohn noch sich selbst ein weiteres Mal antun.
Aber wie sollte es jetzt weitergehen?
„Die beiden sehen gut zusammen aus, nicht wahr?“, erklang dicht hinter ihr die kühle Stimme ihrer Schwiegermutter.
Libby wischte sich verstohlen über die Augen, ehe sie sich Sofia zuwandte und sich zu einem Lächeln zwang. „Oh ja, das tun sie wirklich“, beeilte sie sich zuzustimmen.
„Wenn er sich nur endlich entschließen könnte, ihr einen Antrag zu machen, würden damit zwei der ältesten und einflussreichsten Familien Italiens verbunden“, streute Sofia weiter Salz in die Wunde. „Darauf hoffen wir alle seit Jahren. Wir sehen uns dann beim Dinner.“
Wie sie die Zeit bis dahin überbrückt hatte, wusste Libby später nicht mehr. Ihre Schwiegermutter und sie saßen bereits zehn Minuten am reich gedeckten Tisch unter der romantisch beleuchteten Pergola, als sie eine Wagentür klappen hörten.
Romano und Maddalena!
Der Gedanke, dass die beiden den Abend oder sogar die nächste Nacht miteinander verbringen würden, schnürte Libby den Hals zu, sodass sie kaum etwas von Angelicas liebevoll zubereiteten Köstlichkeiten herunterbekam. Stumm kaute sie an den wenigen Bissen, zu denen sie sich hatte zwingen können, bis Sofia sich schweigend und hoheitsvoll zurückzog.
Erst jetzt wagte Libby aufzuatmen und machte sich auf der Suche nach einer sinnvollen Ablenkung auf den Weg in die reich bestückte Bibliothek des Palazzo . Dort wählte sie einen Bildband über impressionistische Malerei aus, in den sie bereits einmal flüchtig hineingeschaut hatte, und kehrte auf die gemütliche Veranda zurück, wo ihr Angelica auf ihren Wunsch hin noch einen Espresso servierte.
Trotz ihrer Begeisterung für Kunst vermochte die ausgewählte Lektüre sie heute nicht zu fesseln. Die farbenprächtigen Bilder verschwammen vor Libbys Augen, und ihre Gedanken gingen eigene, verbotene Wege …
„Ist das ein gutes Buch?“
Romanos Stimme war ebenso warm und samtig wie der laue Sommerabend und streichelte ihre Sinne.
Libby schürzte die Lippen. „Wenn man sich für impressionistische Malerei begeistern kann …“
„Was du offensichtlich tust“, stellte er lächelnd fest und schien durch ihre abweisende Haltung kein bisschen irritiert zu sein.
„Was mich fasziniert, ist der Eindruck des Flüchtigen, den diese Technik vermittelt und der gleichzeitig realer und einleuchtender erscheint als jede der konventionellen Malmethoden. Alles ist irgendwie transparent … nicht fassbar und dennoch so unwiderstehlich anziehend …“
Ihre raue Stimme, die Intensität ihrer Worte und der sehnsüchtige Blick griffen ihm ans Herz. An jedem neuen Tag, in jeder weiteren Stunde in ihrer Gesellschaft entdeckte er
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