Julia Extra Band 0292
einholen!“
„Wirklich?“ Der Mann wirkte kurz verblüfft, dann machte er sich mit Begeisterung an die Arbeit, nachdem Ryan das Notizbuch aus dem Rinnstein gefischt hatte.
Kurz darauf folgten sie dem Taxi, in dem die junge Frau saß. Es war gerade noch in Sicht, aber es brauchte nur eine Ampel auf Rot zu springen, und sie würden es aus den Augen verlieren.
Der Fahrer gab sein Bestes. „Junge, Junge“, rief er begeistert. „Auf so eine Verfolgungsjagd wie im Film warte ich seit zwanzig Jahren.“
Simone lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. Irgendwie war das Nachhausekommen enttäuschend. Vielleicht weil der Höhepunkt der Reise schon hinter ihr lag? Im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn.
Vor drei Tagen hatte sie wie berauscht in Hongkong ihren Erfolg gefeiert, die größte Leistung ihres Lebens. Sie hatte es tatsächlich geschafft, 450 Kilometer quer durch den Himalaja zu radeln, um Geld für ein wohltätiges Projekt aufzubringen.
Dabei hatte sie auch erfahren, was wahre Kameradschaft bedeutete, und unerwartet zwei neue Freundinnen gefunden: Claire und Belle, die Zelt und Strapazen mit ihr geteilt hatten.
Gegen Ende der Reise sogar ihre dunkelsten Geheimnisse …
Wenn sie daran dachte, was sie den beiden anderen gestanden hatte, durchzuckte sie jedes Mal heiße Panik.
Noch immer konnte sie nicht glauben, dass sie sich endlich einmal alles von der Seele geredet hatte, alles, was sie seit Jahren schwer belastete. Erleichtert hatte sie bemerkt, dass die beiden neuen Freundinnen sich nicht schockiert von ihr abgewandt hatten. Vielleicht war es doch nicht so schlimm, wie sie immer gedacht hatte?
Nach ihrem „Geständnis“ hatte sie sich befreit gefühlt und sich fest vorgenommen, endlich ihren Großvater aufzusuchen und auch ihm alles zu beichten, obwohl sie ihrer Mutter geschworen hatte, es nicht zu tun. Jetzt war die Zeit gekommen, ihn um Verzeihung zu bitten.
Allerdings hatte dort oben auf dem Jadedrachenberg alles ganz anders ausgesehen. Der Entschluss war ihr klarsichtig und logisch vorgekommen. Und nicht nur sie hatte beschlossen, sich endlich den Schatten der Vergangenheit zu stellen. Auch Belle, die Engländerin, und die Amerikanerin Claire hatten sich vorgenommen, in ihrem Leben reinen Tisch zu machen.
Sie drei hatten einen Pakt geschlossen, dass sie sich gegenseitig unterstützen und Mut machen würden, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wozu gab es schließlich Handys und E-Mails?
Inzwischen fragte sich Simone jedoch, ob ihre Entscheidung tatsächlich vernünftig war. Bisher wusste niemand außer ihr, was in der schrecklichen Nacht geschehen war, als ihr Stiefvater starb. Manchmal konnte sie sich beinah einreden, es wäre nie passiert …
Aber nun bekam sie plötzlich Angst vor der eigenen Courage. Schade, dass ihre beiden Freundinnen nicht in Australien lebten. Ihren Zuspruch hätte sie jetzt gut gebrauchen können. Ihr war so beklommen zumute, und sie fühlte sich niedergeschlagen.
Es war keine schöne Rückkehr vom Dach der Welt in ihre Heimatstadt Sydney.
Sie hatten das Taxi mit der jungen Frau schließlich doch im Verkehrsgewühl aus den Augen verloren, obwohl der Fahrer sein Bestes gegeben hatte.
Jetzt waren sie unterwegs zu Ryans gemütlicher Wohnung, die er während seiner Zeit in London vermietet hatte. Hoffentlich sind die Leute mit meinen Möbeln halbwegs pfleglich umgegangen, dachte er und widmete sich wieder dem Tagebuch, das den Sturz in den Rinnstein ziemlich gut überstanden hatte.
Bisher hatte er den Namen der Besitzerin leider nicht ausfindig machen können. Die Spalten auf der ersten Seite für Namen, Adresse und Ähnliches waren leer geblieben. Natürlich hatte er das Buch nicht nur „gerettet“, um an die Telefonnummer der attraktiven Blondine zu kommen, sondern auch aus Ritterlichkeit.
Und nun wusste er nicht weiter. Unter anderen Umständen hätte er sich zum Flughafen zurückbringen lassen und das Buch dort im Fundbüro abgegeben, aber er war hundemüde, das Wetter war scheußlich, und sie hatten bereits halb Sydney durchquert, als sie die Verfolgung aufgeben mussten.
Doch die Frage, wer die schöne Unbekannte war, ließ ihn nicht los.
Er hatte in dem Buch geblättert, hier und dort flüchtig eine Eintragung gelesen und dabei sofort festgestellt, dass es sich um sehr persönliche Aufzeichnungen handelte. Neben Beschreibungen einer Fahrradtour im Himalaja standen Gedanken und Überlegungen, die nicht für fremde Augen bestimmt waren.
In
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