Julia Extra Band 0292

glauben, er hätte sie angelächelt. Wahrscheinlich hatte er triumphierend gegrinst! Wie hatte sie ihn jemals für attraktiv halten können? Nur weil er breite Schultern hatte, muskulös war und seine braunen Augen so treuherzig blickten …
    Seufzend sagte sie sich, dass sie wenigstens ihr Tagebuch zurückhatte. Außerdem war ihr Ryan Tanner nicht gefolgt, nachdem sie ihn böse angefunkelt hatte. Was aber nur ein schwacher Trost war.
    Es bedeutete ja noch lange nicht, dass er ihre Geschichte nicht veröffentlichen würde – oder Belles und Claires noch dazu.
    Verdammt, verdammt, verdammt!
    Simone zog die unterste Schublade des Schreibtischs auf, legte das Tagebuch hinein und schloss sie ab. Den Schlüssel steckte sie in ein mit Reißverschluss gesichertes Innenfach ihrer Handtasche. Hier war er sicher.
    Dann wandte sie sich dem Computer zu und machte sich an die unangenehme Aufgabe, Belle und Claire per E-Mail zu beichten, was passiert war, und die beiden zu warnen.
    Ob sie ihr jemals verzeihen würden?
    Dann hieß es warten, wie es weitergehen würde.
    Nachts konnte Simone vor Angst nicht schlafen. Die wurde auch nicht geringer, als sie morgens in der Zeitung kein Wort über sich und ihr schreckliches Geheimnis las. Es konnte nicht mehr lang dauern, bis Ryan Tanner die Story veröffentlichte.
    Wie sollte sie das überleben? Was würden Freunde und Kollegen dann von ihr halten? Und erst ihr Großvater …
    Am besten wäre, sie rief ihn an und warnte ihn vor dem kommenden Skandal. Bei dem Gedanken daran wurde ihr allerdings so elend, dass sie den Anruf erst einmal aufschob.
    Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, musste sie sich auch noch Sorgen um Belle und Claire machen. Beide hatten inzwischen Mails geschickt und ihr versichert, ihr keine Vorwürfe zu machen, aber dass die Freundinnen sich unbehaglich fühlten, war Simone völlig klar.
    Immerhin standen beide im Licht der Öffentlichkeit. Claire war die Tochter eines amerikanischen Großunternehmers, Belle arbeitete als allseits beliebte Fernsehmoderatorin in London und war außerdem mit einem einflussreichen Mann verheiratet.
    Wenn ihre Geheimnisse ans Tageslicht kämen, wäre das ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse. Dann wäre es mit Belles Karriere bestimmt vorbei, und Claire würde von ihrer berühmten Familie verstoßen.
    Noch schlimmer war, dass sie ihre jeweils getroffenen Vorsätze nicht mehr umsetzen konnten, falls die Einzelheiten ihres Abkommens allgemein bekannt wurden. Sie hatten geschworen, dass jede von ihnen den Menschen aufsuchen würde, dem sie am meisten Unrecht angetan hatte, um zu versuchen, Wiedergutmachung zu leisten.
    Belle hatte sich nicht mehr um ihre jüngere Schwester gekümmert und sie völlig aus den Augen verloren, als diese nach dem Tod ihrer Mutter adoptiert worden war. Claire hatte ohne Widerrede der Scheidung von ihrem Mann zugestimmt, als ihr Vater es verlangt hatte. Sie wollte Ethan finden und ihn um Verzeihung bitten, dass sie nicht um ihn und ihre Beziehung gekämpft hatte.
    Das alles stand womöglich auf dem Spiel, weil sie, Simone, unachtsam gewesen war. Und das konnte sie nicht einfach tatenlos hinnehmen.
    Was also tun? Als Erstes musste sie versuchen, etwas über Ryan Tanner herauszufinden, was sie vielleicht gegen ihn verwenden konnte. Nach dem Motto: Wenn du meine Geheimnisse verrätst, plaudere ich auch deine aus.
    Zum Glück brauchte man heutzutage für derartige Recherchen keinen Privatdetektiv mehr. Man konnte einfach und vertrauensvoll im Internet stöbern.
    Eine Viertelstunde später lächelte Simone triumphierend und rieb sich die Hände. Sie war tatsächlich fündig geworden.
    Ryan Tanner war, wie er behauptet hatte, Journalist und hatte für den Chronicle und zwei Londoner Zeitungen gearbeitet, außerdem aber war er der jüngere Sohn des Großunternehmers Jordan Davidson Tanner, einem allseits bekannten, schillernden Charakter, dem riesige Ländereien im Westen und Norden des Kontinents, sowie Gold- und Eisenerzminen gehörten.
    Laut Internet hatte Ryan sich mit seinem Vater verkracht und hielt sich von der Familie fern. Seine Privatsphäre war ihm heilig. Er war seit dem Schulabschluss nicht mehr zusammen mit einem Familienmitglied fotografiert worden.
    Daraus konnte man eine großartige Story basteln! Ein gut aussehender Junggeselle, Erbe eines der reichsten Männer Australiens, der dem Reichtum den Rücken kehrte und sich als Journalist durchschlug … das war der Stoff, aus dem die Träume einer