Julia Extra Band 0292
Großvater, der dich nicht mehr sehen möchte?“, hakte Ryan nach.
Sie nickte. „Ja. Dort oben im Himalaja habe ich Belle und Claire und mir selbst geschworen, dass ich meinen Großvater aufsuche und ihm alles beichte. Da ich ihm aber seit Jahren aus dem Weg gegangen bin, kann ich ihm wirklich nicht verübeln, dass er mit mir nichts mehr zu schaffen haben will.“
„Dein Lebensglück hängt deiner Meinung nach also davon ab, dass du mit ihm alles ins Reine bringst?“, fragte Ryan verständnisvoll.
„Ja. Aber anscheinend bekomme ich diese Chance nicht.“ Simone seufzte. „Ich kann ihm eigentlich nur schreiben und hoffen, dass er den Brief liest.“
„Das könnte schiefgehen. Es gibt nur eins: Du fährst zu deinem Großvater und weigerst dich, wegzugehen, bevor er dich angehört hat.“
„Wie stellst du dir das vor, Ryan? Dass ich mich quer über die Schwelle lege und er so lange über mich drübersteigen muss, bis es ihm zu viel wird und er mich anhört?“, fragte sie sarkastisch.
„So drastische Methoden sind bestimmt nicht nötig.“ Ryan verbiss sich ein Lächeln. „Wenn er dich erst mal wiedersieht, gibt er sicher nach.“
„Schön wär’s! Übrigens kommt dir dieses Gesprächsthema nicht irgendwie bekannt vor?“
„Warum?“
„Vor wenigen Stunden noch habe ich dich gedrängt, zu deinem Vater zu gehen und endlich alles mit ihm zu klären.“
„Das war der beste Rat, den ich jemals im Leben bekommen habe.“ Zärtlich schob er ihr eine goldblonde, seidenweiche Strähne hinters Ohr. „Jetzt solltest du deinen eigenen Rat befolgen.“
„Ich bin aber nicht so tapfer wie du“, erwiderte Simone kläglich.
Dass ihre Probleme wesentlich schwerwiegender waren als seine, erwähnte sie großzügigerweise nicht. Er hatte sich ja nicht mit dem Tod eines verhassten Stiefvaters und einer geliebten Mutter abfinden müssen. Und wie es aussah, belastete Simone noch Schlimmeres …
„Ich begleite dich zu deinem Großvater“, bot Ryan spontan an. „Natürlich nur, wenn du möchtest. Zusammen schaffen wir’s! Oder versuchen es zumindest.“
„Das kann ich nicht von dir verlangen!“
„Das brauchst du auch nicht, weil ich es dir ja schon angeboten habe“, erwiderte er humorvoll.
„Aber … wir kennen uns doch noch nicht so lange!“
„Bist du sicher? Vielleicht sind wir uns schon mal in einem früheren Leben begegnet? Ich habe jedenfalls das Gefühl, dich seit einer Ewigkeit zu kennen.“
Still saß sie da und überlegte. Dann kam sie zu einem Entschluss.
In ihren Augen schimmerte ein Hoffnungsfunke, als sie aufblickte. „Ach Ryan, ich fände es wirklich wundervoll, wenn du mich begleitest. Wann könnten wir denn nach Murrawinni zu meinem Großvater fahren?“
„Morgen? Oder besser gesagt, heute. Es ist ja schon lang nach Mitternacht. Die Gespenster sind wieder in ihren Schlupflöchern verschwunden“, scherzte er, um eine fröhlichere Note ins Gespräch zu bringen.
Dann umfasste er Simones Gesicht und küsste sie zärtlich.
Über all ihren Problemen durften Hoffnung und Liebe nicht zu kurz kommen.
Als Simone das Tor zum Besitz ihres Großvaters öffnete, verließ sie beinah der Mut. Hier war alles so vertraut: die sanften Hügel, die lange, gewundene Zufahrt zwischen den Koppeln und der breite Fluss, an dem sich abends die Kängurus ausruhten.
Auch das große alte Haus im Kolonialstil war völlig unverändert. Die Magnolie davor war natürlich größer geworden, aber ansonsten war alles wie früher.
Simone war zumute, als hätte sie eine Zeitreise in die glücklichen Tage ihrer Kindheit gemacht.
Als sie vor dem Haus anhielten, lächelte Ryan ihr ermutigend zu. „Ich weiß, wie du dich fühlst. Als ich in Sydney vor Dads Tür stand, hätte ich am liebsten sofort wieder kehrtgemacht. Aber denk dran: Ich bin hier bei dir! Und ich bleibe bei dir, bis du alles überstanden hast.“
Dankbar nickte sie ihm zu und stieg aus. Zwei Hirtenhunde kamen schwanzwedelnd angelaufen und schnupperten an ihren Händen, während sie an dem leise plätschernden Springbrunnen vorbei zur vorderen Veranda gingen.
Simone atmete tief durch und läutete die altmodische Glocke neben der breiten Eingangstür. Dann hieß es warten.
Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, meinte sie, insgeheim erleichtert: „Es ist anscheinend niemand zu Hause. Also muss ich die Angelegenheit doch brieflich erledigen.“
„Moment, da ist jemand“, sagte Ryan.
Tatsächlich hörte man Schritte, dann wurde
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