Julia Extra Band 0293
sie, alles in allem, nicht überrascht. Sie hatte nicht erwartet, dass er sich über ihr Erscheinen freuen würde. Allerdings hatte sie auch nicht erwartet, dass er sie küssen würde. Damit hatte er sie also durchaus überrascht.
Beim Gedanken an ihren leidenschaftlichen Kuss durchflutete sie heiße Sehnsucht. Unbemerkt glitt ihr der Riemen der Reisetasche von der Schulter, dann fiel die Tasche krachend auf den Boden.
Während Claire sich bückte, erschien eine kräftige Männerhand in ihrem Blickfeld, die sich zur Tasche ausstreckte. Claire nahm die Tasche und richtete sich auf. Lächelnd wandte sie sich um und wollte dem hilfsbereiten Mann danken.
Ihre Finger wurden plötzlich kraftlos, und nochmals fiel die Tasche auf den Boden.
„Ethan! Was machst du denn hier?“
„Hallo, Claire. Schön, dass ich dich noch erwischt habe.“
„Kein Wunder. Der Flug wurde verschoben. Also, was willst du?“
Da gerade ein Flugzeug gelandet war, füllte sich die Halle des kleinen Flughafens plötzlich mit Reisenden.
„Ich möchte mit dir reden, Claire. Wollen wir uns irgendwo hinsetzen und etwas trinken?“
„Einverstanden.“ Er hob ihre Tasche auf, und sie nahm sie ihm sofort ab. „Danke, die kann ich selbst tragen.“
Ethan blickte Claire einen Moment lang forschend an, dann nickte er. Dieser eine Satz hatte ihm bewiesen, wie sehr sie sich in den zehn Jahren verändert hatte. Sein Pech, dass ihm die unabhängige, selbstständige Frau, die sie nun war, noch besser gefiel als das zarte Mädchen, das er damals hatte glücklich machen und beschützen wollen.
Sie gingen in das kleine Flughafenrestaurant und setzten sich in eine ruhige Nische. Nachdem sie beide Kaffee bestellt hatten, wartete Ethan noch einen Augenblick, bevor er auf sein Anliegen zu sprechen kam, das ihn zum Flughafen geführt hatte.
„Ich habe hier etwas, das ich dir zurückgeben möchte, Claire“, begann er.
Überrascht sah sie ihn an, ihre goldbraunen Augen schimmerten im Lampenlicht. „Alles, was ich dir jemals gegeben habe, war als Geschenk gemeint, Ethan. Ich erwarte nichts zurück.“
„Das könnte ich aber von dem Ehering auch sagen“, hielt er dagegen.
„Der war kein Geschenk, sondern das Symbol eines Versprechens. Dieses Versprechen wurde unter falschen Vorspiegelungen gemacht, und ich habe es nicht gehalten.“
Das klang so ehrlich, dass er es ihr, nach kurzem Überlegen, wirklich glaubte. „Genau genommen habe ich das Versprechen auch nicht gehalten“, gab er dann zu.
Ihre Augen begannen zu leuchten, warum, das wollte er gar nicht so genau wissen. Plötzlich herrschte Schweigen.
Schließlich räusperte Ethan sich befangen. „Legal gesehen gehört es wahrscheinlich deinem Vater“, begann er.
Er zog den Scheck aus der Brieftasche und reichte ihn Claire. Sie sah das Stück Papier zuerst neugierig, dann überrascht, zuletzt ungläubig an. Diese Reaktion hatte er nicht erwartet.
„Aber ich dachte …“ Sie presste die Hand vor den Mund und schloss einen Moment lang die Augen. „Du hast ihn nicht eingelöst.“
„Natürlich nicht! Ich dachte, du hättest das gewusst. Warum hast du nie gefragt? Verdammt, du hättest doch nur zu fragen brauchen.“ Er war plötzlich wütend.
„Du hattest den Scheck in der Hand. Du hast ihn nicht zurückgewiesen“, erinnerte sie ihn bedrückt. „Ich wusste doch, wie entschlossen du warst, mit einer eigenen Firma Erfolg zu haben. Und weil du den Scheck meinem Vater nicht sofort vor die Füße geworfen hast, nahm ich an …“
„Dein Vater hatte mir gerade von deiner Verlobung mit Ashton erzählt, entschuldige bitte, dass mein Reaktionsvermögen etwas angeschlagen war.“ Ethan fluchte lauthals. „Ich kann nicht glauben, dass du vermutet hast, ich hätte Geld für die Scheidung genommen!“
„Du hast doch auch Vermutungen über mich angestellt“, konterte sie.
Wo sie recht hat, hat sie recht, gab er im Stillen zu.
„Aber du hast den Scheck nicht eingelöst“, sagte Claire und lächelte strahlend.
„Und du warst nicht mit Ashton verlobt.“ Auch Ethan hätte beinah gelächelt.
Dann fiel ihm ein, dass ein Vorwurf noch immer galt: Sie hatte ihn für ihre Zwecke benutzt. Daran ließ sich nichts ändern, auch wenn zehn Jahre vergangen und sie beide inzwischen andere Menschen waren.
„Die Passagiere zum Flug nach Chicago werden zur Gangway gebeten“, hieß es plötzlich aus dem Lautsprecher.
„Das ist mein Flug“, meinte Claire.
Ethan bezahlte den Kaffee, dann begleitete er
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