Julia Extra Band 0294
Mädchen verstanden sich untereinander, und Lisa war in den Jahren zu einer guten Freundin für Audrey geworden. Deshalb hatte die sich auch geweigert, die Agentur zu wechseln, als sie von Dublin nach London ziehen musste, weil ihre steile Karriere plötzlich nicht mehr aufzuhalten war.
Und im Gegenzug hatte Lisa sich als absolut loyal verhalten, als die Presse zum Vernichtungsschlag gegen Audrey ausholte. So waren die Agenturchefin und Kate die beiden Menschen, denen sie sich am meisten verpflichtet fühlte.
Das Dumme war nur, dass Lisa ihr erst vor gar nicht so langer Zeit gestanden hatte, dass sie die Agentur ohne Audrey als Zugpferd schon längst nicht mehr hätte halten können. Was sollte sie also tun?
Romain hatte Pretty Woman eine schier unglaubliche Summe in Aussicht gestellt, sollte Audrey sich doch noch entschließen, in seiner Werbekampagne die Hauptrolle zu übernehmen. Daneben köderte er Lisa mit der Aussicht auf einen lukrativen Folgeauftrag, sodass die Agenturchefin bereits davon träumte, eine Dependance in London aufzumachen, wie sie Audrey unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraute.
Mit gefurchter Stirn, den Blick fest auf den Boden geheftet, eilte Audrey durchs frühlingshafte Dublin, ohne einen Gedanken an die laue Luft, den blauen Himmel oder die Schönheiten ihrer Heimatstadt zu verschwenden.
Romain de Valois hatte sie in die Enge getrieben und konnte es sicher nicht abwarten, sie zu Kreuze kriechen zu sehen, um seinen Triumph auszukosten. Er war der große Puppenspieler und sie die Marionette, die ohne eigenen Willen an seinen Fäden hing …
Audrey stöhnte leise auf, sah aber keine Möglichkeit, ihrem düsteren Schicksal zu entfliehen, ohne ihre Freundin und Gönnerin im Stich zu lassen.
Während sie mit energischen Schritten das Luxushotel betrat, musste Audrey entsetzt feststellen, dass sich in ihre Empörung eine seltsame Erwartungshaltung mischte, die fast an Vorfreude grenzte.
Vorfreude? Worauf?
Um mit ihm die Klingen zu kreuzen? Oder einfach nur darauf, ihn endlich wiederzusehen …?
Romain saß in einer Nische des aufwendig renovierten Foyers im Shelbourne Hotel und versuchte, seine Nervosität zu unterdrücken. Er hatte sich so positioniert, dass er Audreys Eintreffen beobachten konnte, ohne gleich von ihr entdeckt zu werden.
Eine notwendige Maßnahme, denn ganz überraschend hatte er Grund, an seinem Verstand zu zweifeln. Seit jenem Abend in New York fühlte er sich wie fremdgesteuert und fürchtete langsam, die Kontrolle über sein geordnetes und zielgerichtetes Leben zu verlieren.
Zuerst Maud, die ihm noch einmal Audreys Professionalität versicherte, dann sein Geschäftsvorstand, der darauf beharrte, nur sie zum Mittelpunkt der geplanten Kampagne zu machen, und nicht zuletzt er selbst …
Romain konnte sich nicht erinnern, dass er jemals einer Frau durch die halbe Welt nachgejagt wäre! Er hätte jetzt natürlich die berufliche Notwendigkeit vorschieben können, aber eigentlich ging es nur darum, dass Audrey Murphy die erste Frau war, die ihn einfach so … abgeschüttelt hatte.
Nun gut. Da er selbst am Set sein würde, konnte er sie wenigstens im Auge behalten und so vielleicht verhindern, dass sie die ungeheuer aufwendige und kostspielige Kampagne mit mangelnder Disziplin – besonders im Hinblick auf Drogen – gefährdete. Und auf der anderen Seite … normalerweise achtete er sehr darauf, Berufliches und Privates strikt zu trennen, aber in diesem Fall … wer weiß.
Er war jetzt an einem Punkt seiner Karriere angelangt, wo er sich erlauben konnte, das zu tun, was er wollte. Es gab niemanden, der das Recht oder die Macht hatte, ihn zu kritisieren oder ihm gar zu schaden. Möglicherweise tat es ihm ja gut, die eiserne Kontrolle, der er sich stets unterworfen hatte, ein wenig zu lockern …
Der Gedanke, Audrey Murphy zu zähmen, milderte entschieden dieses quälende Gefühl von Unzufriedenheit, das ihn seit ihrer Begegnung in New York in den Fängen hielt.
Und dann stand sie plötzlich da.
Die heiße Welle der Erregung, von der er erfasst wurde, überraschte und ärgerte Romain zugleich. Frustriert presste er die Lippen zusammen und ließ abschätzend seinen Blick über ihren schlanken, aufsehenerregenden Körper wandern.
Das glänzende schwarze Haar hatte sie zu einem lockeren Zopf geflochten, ihr Outfit, bestehend aus einem schwarzen Blazer über dem weißen T-Shirt zu abgewetzten Jeans und einfachen Turnschuhen, hätte nicht schlichter ausfallen
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