Julia Extra Band 0294
weite Welt, und die Devise lautet: jetzt oder nie. Dass mir der Abschied nicht leichtfällt, war von vornherein klar.“
„Da wir gerade bei dem Thema sind …“ Dave holte eine kleine rechteckige Geschenkschatulle aus der Tasche. „Das ist ein persönliches Dankeschön. Es ist nicht geschmeichelt, wenn ich Ihnen sage, dass Sie die beste Sekretärin waren, die ich je hatte. Es ist die reine Wahrheit. Falls London Sie enttäuscht, bekommen Sie bei Breedon & Son immer einen Job.“
„Das ist sehr lieb.“ Gina öffnete die Verpackung und erblickte eine zierliche goldene Armbanduhr. „Vielen Dank! Ich hätte nicht gedacht …“ Ihre Stimme versagte vor Rührung.
Dave reagierte mit sichtlichem Unbehagen auf die Gefühlsanwandlung. Er besaß die typisch nüchterne unverblümte Mentalität der Bewohner von Yorkshire, und er war stolz darauf. „Harry hat sie ausgesucht. Ich wollte Ihnen einen Scheck geben – meiner Ansicht nach viel praktischer. Aber er meint, Sie freuen sich mehr über etwas, das Sie an Ihre Zeit hier bei uns erinnert, und ihm ist aufgefallen, dass Sie Ihre alte Uhr seit einigen Tagen nicht mehr tragen.“
„Sie ist kaputt.“
„Nun denn.“ Dave verbarg nicht, dass er diesen für ihn peinlichen Moment schnell hinter sich bringen wollte. „Vergessen Sie nicht, bei uns vorbeizuschauen, wenn Sie Ihre Eltern besuchen kommen. In Ordnung? Ich muss jetzt gehen. Meine bessere Hälfte und ich gehen heute zum Dinner aus.“ Er wandte sich an Harry. „Schließt du bitte die Büros ab?“
„Auf Wiedersehen, Mr. Breedon.“ Gina stand auf, um ihrem Chef die Hand zu schütteln. Er war von der alten Schule und hielt nichts von mondänen Nettigkeiten wie Umarmungen und Küsschen, doch ganz impulsiv küsste sie ihn zart auf die Wange, bevor sie sich wieder setzte.
Er räusperte sich. „Passen Sie auf sich auf“, mahnte er schroff, bevor er durch die Tür verschwand.
Stille herrschte, während Gina die restlichen Papiere vom Schreibtisch räumte. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Gib dich cool. Bleib ganz ruhig und sachlich. Du wusstest doch, dass dieser Moment kommt.
Das schon, antwortete eine innere Stimme, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass wir allein sind, wenn ich ihm Lebewohl sagen muss.
„Dein Auto steht heute gar nicht auf dem üblichen Platz.“
Überrascht hob sie den Kopf und blickte Harry zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte, direkt ins Gesicht. Er lehnte an der Wand, die Hände in die Hosentaschen gestopft, die Augenlider halb gesenkt, mit unergründlichem Blick. Sein Talent, nichts von seinen Gedanken und Gefühlen preiszugeben, war ihr schon zu Beginn ihrer Bekanntschaft aufgefallen. Diese Fähigkeit war vermutlich ein wesentlicher Faktor für seine beruflichen Erfolge, zunächst in Deutschland und Österreich, dann in den Staaten.
Angeblich hatte er einen extrem hoch dotierten und einflussreichen Posten in einem bedeutenden pharmazeutischen Konzern aufgegeben, als er zurückgekehrt war, um seinem Vater beizustehen. Das wusste sie allerdings nur von Dave. Harry selbst sprach von sich aus nie über seine Vergangenheit und antwortete nur sehr einsilbig auf diesbezügliche Fragen.
„Mein Auto?“ Gina versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Es fiel ihr nicht leicht in seiner überwältigenden Gegenwart. „Ich wusste, dass ich etwas trinken würde, und habe deshalb beschlossen, mir heute ein Taxi zu gönnen.“
„Das brauchst du nicht.“ Er richtete sich auf. „Ich fahre dich nach Hause.“
Bloß das nicht!, dachte sie, denn er fuhr einen schnittigen Sportwagen, der abging wie eine Rakete und eine wahrhaft sinnliche Verführung auf Rädern darstellte. „Danke, aber das ist nicht nötig. Es ist die falsche Richtung für dich.“
„Es ist ein schöner Frühlingsabend, und ich habe nichts anderes vor. Ich habe alle Zeit der Welt.“
„Nein, wirklich nicht. Ich fühle mich schlecht, wenn ich dir so viele Umstände mache.“
„Ich bestehe darauf.“
„Und ich bestehe darauf, ein Taxi zu nehmen“, beharrte Gina. Sie konnte genauso starrsinnig sein wie er. Denn zu groß war die Gefahr, ihm ihre Gefühle zu verraten und sich damit unsterblich zu blamieren.
„Sei nicht albern.“ Harry durchquerte den Raum, hockte sich auf den Schreibtisch – eine feste Angewohnheit – und hob ihr Kinn. Er blickte ihr in die Augen und sagte sanft: „Du bist ganz verstört wegen des Abschieds, und das ist ja auch kein Wunder. Du bist praktisch schon seit der
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