Julia Extra Band 0294
warmen Holztöne spiegelten sich in den honigfarbenen Wänden wider, an denen vereinzelt Gemälde hingen. „Ich habe nur eingewilligt, ihm in den nächsten zwei Jahren unter die Arme zu greifen und dann beim Verkauf der Firma zu helfen, wenn die Zeit dafür reif ist. Das ist alles.“
„Ich verstehe. Also gehst du irgendwann zurück in die Staaten?“
„Wer weiß? In die Staaten, nach Deutschland oder vielleicht nach Australien. Keine Ahnung. Ich habe in den letzten Jahren viel Geld verdient, unter anderem durch Börsenspekulationen, und einen Großteil davon gut angelegt. Ich muss eigentlich nicht mehr arbeiten. Aber ich will. Ich liebe Herausforderungen.“
Damit gab er mehr von sich preis denn je zuvor. In der Annahme, dass er in redseliger Stimmung war, wollte Gina ihm weitere Fragen über seine Zukunftspläne stellen, doch auf sein Gesicht trat ein verschlossener Ausdruck, der sie davon abhielt. „Hier sieht alles so aufgeräumt und sauber aus. Hast du eine Putzfrau?“
„Willst du damit andeuten, dass Männer nicht putzen können? Das ist ziemlich sexistisch, meinst du nicht?“ Harry lächelte und öffnete die Tür zu einem riesigen Wohnzimmer mit Parkettboden, das von einem massiven offenen Kamin und einer behaglichen Sitzgruppe dominiert wurde. „Allerdings hast du ganz recht“, räumte er ein. „Mrs. Rothman kommt dreimal pro Woche und erledigt alles – einschließlich Glühbirnen wechseln. Sie ist ein Schatz.“
„Bereitet sie dir auch die Mahlzeiten zu?“
„Nein. Ich bin ein guter Koch, wenn ich das von mir selbst so sagen darf, und ich ziehe es vor zu essen, was und wann es mir gerade in den Sinn kommt.“ Er bedeutete ihr mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. „Ein Glas Wein, während du wartest? Rot oder weiß?“
„Rot, bitte.“
Er verließ den Raum, und sie blickte sich interessiert um. Im Kamin lag Asche. Daneben waren Holzscheite aufgestapelt. Sie malte sich aus, wie Harry es sich abends dort gemütlich machte und vielleicht an einem Glas Wein nippte, während er in die flackernden Flammen sah. Sie verspürte Abschiedsschmerz und ermahnte sich zur Vernunft. Vor allem wollte sie nicht über die Wahrscheinlichkeit nachdenken, dass sich die gerade angesagte Blondine vor dem Feuer rekelte und er sie nach Strich und Faden verwöhnte.
Gina schüttelte die quälenden Gedanken ab, als er mit einem riesigen Glas zurückkehrte, das zur Hälfte mit tiefrotem Wein gefüllt war und vermutlich eine halbe Flasche enthielt. Zögernd nahm sie es mit einem Lächeln entgegen, denn vor lauter Aufregung an diesem letzten Arbeitstag hatte sie beim Lunch kaum einen Bissen gegessen und auch bei der Abschiedsfeier nichts angerührt.
„Ich brauche nicht lange. Da drüben liegen Zeitschriften.“ Er deutete zu einem der Tischchen, die im Zimmer verstreut standen. „Nüsse und Oliven sind auch da. Greif zu.“
„Danke.“ Sobald er hinausging, stürzte sie sich förmlich auf die Erdnüsse und leerte die Schale zur Hälfte. Mit den Kalorien wollte sie sich später befassen. An diesem Abend musste sie unbedingt nüchtern bleiben und einen kühlen Kopf bewahren. Ein falsches Wort, ein schmachtender Blick, und schon erriet er womöglich, wie sie zu ihm stand. Und diese Blamage hätte sie sich niemals verziehen.
Vorsichtig nippte sie an dem Wein. Er war stark, dunkel und voller Versprechungen – wie Harry.
Sie musterte sich in dem großen antiken Spiegel über dem Kamin. Das sanfte Licht im Raum ließ ihr Haar golden glänzen und die rötlich-braunen Sommersprossen mit ihrer hellen Haut zu einem honigfarbenen Ton verschmelzen. Allerdings beschönigte es weder die kleine Stupsnase noch die übrigen ebenmäßigen, aber unauffälligen Züge.
Sie zog ihrem Spiegelbild eine Grimasse. Ihre blauen Augen wirkten düster vor Unmut. Sie sah aus wie der Inbegriff des netten Mädchens von nebenan, während sie sich ersehnte, eine Femme fatale zu sein. Eigentlich war ihre kurvenreiche Figur nicht zu verachten, aber sie wollte lieber hochgewachsen und gertenschlank sein – nur um in Harrys Beuteschema zu passen. Ihre Mutter bezeichnete sie als „hübsch gerundet“, was in der Terminologie der Modewelt drall bedeutete.
Mit einem Seufzen wandte Gina sich vom Spiegel ab, trat an das Fenster und blickte hinaus auf das Grundstück hinter dem Cottage, während sie den Wein austrank. Nun, da sie sich ihr Äußeres vor Augen geführt hatte, ließ sie ihren guten Vorsatz fallen und beschloss, sich Mut
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