Julia Extra Band 0294
verlässt?“
Gina verstand nicht, warum er so aufgebracht war. Es konnte ihm doch egal sein, ob sie sich mit ihrem imaginären Geliebten traf oder nicht. „Das weiß ich noch nicht“, entgegnete sie lapidar. Sie wollte nicht länger über dieses Thema reden, denn sie musste befürchten, sich zu verplappern. Sie war eine schlechte Lügnerin. „Und er hat mich nicht enttäuscht. Das habe ich doch vorhin schon klargestellt. Was hast du vorher gesagt?“
„Dass du nicht vergessen sollst, mir heute Abend deine Adresse und Telefonnummer zu geben.“
Harry wirkte ein wenig mürrisch, wie ihr schien. Er konnte es einfach nicht ausstehen, wenn ihm widersprochen wurde. Sie nickte, doch sie beabsichtigte keineswegs, ihm die gewünschten Informationen zu geben – nicht nach seiner Bemerkung, dass er bei seinen künftigen Besuchen in London auf ihrer Couch nächtigen wollte. Sie musste sich einfach eine Ausrede einfallen lassen, falls er erneut danach fragte.
Sobald Kaffee und Minztäfelchen verzehrt waren, beglich Harry die Rechnung. Auf dem Weg zum Parkplatz geleitete er Gina zum Auto – seine Hand an ihrem Arm. Ihr Herz pochte heftig. Frühling lag in der Luft – ein unerträglich lieblicher Duft für sie, denn sie fühlte sich miserabel wie nie zuvor.
Als sie im Auto saßen, drehte Harry sich mit leicht gerunzelter Stirn zu ihr um und sagte leise: „Ich mache mir Sorgen um dich.“
Verdutzt blickte sie ihn an. Hätte er nackt im Mondschein vor ihr getanzt, hätte es sie nicht minder verblüfft – wenn auch mit Sicherheit mehr aufgereizt. „Ich kann dir nicht folgen.“
„Dass du nach London verschwindest, um ein gebrochenes Herz auszukurieren, ist gefährlich. Es macht dich empfänglich für die schlimmste Sorte Mann, die dich nur ausnutzen will. Weit weg von Angehörigen und Freunden, ganz allein in einer fremden Großstadt bist du sehr verletzlich.“
Er stellte sie dar wie ein armes kleines Waisenkind. Steif erklärte sie: „Ich bin zweiunddreißig Jahre alt, keine süße sechzehn.“
„Was hat denn das eine mit dem anderen tun?“
„Alles.“
Harry schmollte wie ein kleiner Junge, der nicht verstehen wollte, dass eins und eins zwei ergab. Sie mochte es sich erst nicht eingestehen, aber dieser Harry wirkte entwaffnend. Doch er war kein unreifer Junge mehr, sondern ein sehr erfahrener intelligenter Mann, der jede Schwäche zu nutzen verstand, die ein Gegner offenbarte. Zu oft hatte sie ihn in der Firma in Aktion erlebt, um sich täuschen zu lassen.
Nach längerem Schweigen sagte er tonlos: „Ich glaube nicht, dass du es gründlich genug durchdacht hast.“
„Wie bitte?“, hakte sie pikiert nach. Seit Monaten tat sie nichts anderes, als alles zu durchdenken. In seinen Augen war sie offensichtlich nicht nur unattraktiv und geschlechtslos, sondern auch noch dumm. „Was weißt du denn schon davon!“
„Komm mal wieder runter vom hohen Ross! Ich weise dich darauf hin, dass du dich mit den falschen Mitteln über eine Enttäuschung hinwegtrösten willst, weil nämlich jemand, der gerade mitten in so einer Situation steckt, das selbst nie bedenkt.“
Jetzt spielt er auch noch Kummerkastenonkel! Seine Talente sind wirklich unermesslich .
Sie sah ihn finster an, diesen Mann, den sie von ganzem Herzen liebte. „Also, du hast mich darauf hingewiesen. Fühlst du dich jetzt besser?“
„Wenn du es beachtest?“
„Natürlich“, bestätigte sie sarkastisch. „Wenn du es sagst …“
„Sehr witzig.“ Harry startete den Motor. „Ich versuche nur, auf eine gute Freundin aufzupassen. Was ist daran auszusetzen?“
„Gar nichts“, murmelte sie. „Danke.“
„Gern.“ Er lenkte das Auto von dem kleinen Parkplatz auf die Straße. Tiefe Dunkelheit, wie sie nur auf dem Lande herrscht, hüllte sie ein.
Gina saß völlig still da und starrte durch die Windschutzscheibe, ohne die Straße zu sehen. Sie fühlte sich ausgelaugt. Die endlosen schlaflosen Nächte in den vergangenen Monaten wegen Harry; dieser bedrückende Tag des Abschieds, schließlich die Einladung zum Dinner und das Tischgespräch … All das bewirkte, dass sie sich in einem Zustand der Erschöpfung befand. Dazu war sie ein wenig benommen von dem Wein. Daher lehnte sie den Kopf zurück und schloss die Augen.
Sie schreckte auf, als der Wagen plötzlich anhielt, und stellte fest, dass sie sich noch immer auf der finsteren einsamen Landstraße befanden. „Was ist denn los?“, fragte sie alarmiert.
„Ich weiß nicht genau.“ Harry
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