Julia Extra Band 0294
um Atem rang. Angst, Panik, Scham und dieses schreckliche, erdrückende Schuldgefühl … alles holte sie in dieser Sekunde wieder ein. Mit ganzer Kraft versuchte sie, ihre Hände am Zittern zu hindern, als sie sich mit einer betont lässigen Geste das glänzende schwarze Haar aus dem Gesicht strich.
Sie war viel zu verletzt, um das überraschte Aufblitzen in Romains kühlen grauen Augen zu registrieren.
„Wenn Sie nur hierhergekommen sind, um sich als antiquierter Moralapostel aufzuspielen und meine Arme auf Einstiche zu untersuchen, dann entschuldigen Sie mich jetzt bitte …“ Damit wollte sie gehen, wurde aber von Romain zurückgehalten, der ihr Handgelenk mit festem Griff umschloss.
Seine schlanken Finger schienen ihre Haut zu versengen, und Audrey zuckte heftig zurück. Doch er ließ sie nicht los. Stattdessen drehte er bedächtig ihre Handinnenfläche nach oben und tastete mit den Augen die zarte weiße Haut bis zur Ellenbogenbeuge ab.
„Nein …“, stellte er gedehnt fest. „Keine Einstiche zu sehen. Aber Sie sind eine intelligente Frau, der man nicht so leicht auf die Schliche …“
„Das reicht!“ Mit einem Ruck entriss sie ihm ihren Arm. „ Monsieur de Valois , ich würde gern sagen, es hätte mich gefreut, Sie persönlich kennenzulernen, doch leider bin ich unheilbar aufrichtig … Außerdem nehme ich allein auf Veranlassung Ihrer Tante an diesem Event teil und möchte keinen unnötigen Skandal provozieren. Doch sollten Sie noch einmal versuchen, mich aufzuhalten, dann schreie ich den ganzen Saal zusammen!“
„Kein Grund, gleich so dramatisch zu werden, Miss Murphy … oder sollte ich lieber sagen Quinn ? Und wenn ich noch irgendetwas in dieser Richtung von Ihnen höre, werfe ich sie einfach über meine Schulter und trage sie aus dem Raum, wie ein trotziges Kind, als das Sie sich hier aufführen …“
Audrey war sprachlos. Und die bildhafte Vorstellung, über Romain de Valois’ breite Schulter geworfen zu werden, brachte sie völlig aus dem Konzept. „Für Sie … Murphy“, knirschte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Und wenn Sie nur sehen wollten, was aus dem naiven, jungen Ding von damals geworden ist, das sie der Pressemeute zum Fraß vorgeworfen haben, dann kann ich mich wohl endlich zurückziehen …“
„Es hat sich zu einer bemerkenswert attraktiven Frau ausgewachsen“, stellte er mit einem kritischen Blick fest, der Audrey erröten ließ. „Gehen werden Sie erst, wenn ich es Ihnen gestatte, und was das naiv betrifft … kein Teenager, den ich kenne, treibt sich bis morgens um sechs auf der Straße herum und hält sich dabei mit Drogen und Alkohol wach …“, endete er mit einem bezeichnenden Blick auf das Champagnerglas in ihrer Hand.
Audrey bedauerte zutiefst, dass sie es bereits geleert hatte, sonst wäre das edle Getränk in dieser Sekunde mitten in Romains arrogantem Gesicht gelandet. Anders war diesem unverschämten Kerl offenbar nicht beizukommen. Vielleicht sollte sie ihre Taktik ändern.
„So gern ich noch bleiben würde, aber leider …“, gurrte sie mit rauer, sexy Stimme und verblüffte Romain damit tatsächlich. „Es war sehr … erfrischend, endlich den Mann kennenzulernen, der mich einst als das schleichende Gift für die Mode industrie bezeichnet hat. Ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg bei Ihrem Kreuzzug gegen Ihre Mitmenschen, die nicht so perfekt wie Sie sind, Monsieur de Valois .“
Damit wandte Audrey sich um, stellte ihr Champagnerglas behutsam auf einem der Stehtische ab und ging kerzengerade davon. Romain blieb nicht verborgen, dass ihr die Blicke fast aller anwesenden Männer folgten, und verspürte ein seltsames Ziehen in der Brust. Noch nie hatte ihn eine Frau auf diese Art abserviert! Völlig irrational überfiel ihn plötzlich das Ge fühl, dass er seinen Entschluss, Audrey Murphy nicht für seine Kampagne zu engagieren, vielleicht doch etwas zu voreilig getroffen hatte.
Darauf war Romain nicht gefasst gewesen. Auf dieses absolut fremde, neue Gefühl von nagender Unsicherheit. Und Frustration.
Seine Miene verhärtete sich. Ehrlich gesagt hatte er damit gerechnet, dass Audrey Murphy sich in eines dieser harten und abgebrühten Geschöpfe verwandeln würde, gegen die er längst immun war, sobald sie seine wahre Identität erkannte. Doch Feuer und Leidenschaft unter ihrer professionellen Fassade waren ebenso wenig zu verkennen gewesen wie die Verletzlichkeit in ihren schönen Augen.
Das hatte ihn regelrecht überrumpelt.
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