Julia Extra Band 0295
Sosehr er es wollte, er konnte es einfach nicht. Ebenso wie er keine Zeit mit ihr und dem Baby verbringen konnte, wenn er zu Hause war.
„Du lässt dich überhaupt nicht blicken“, hatte Reese ihm vorgeworfen. Für ihn war es reiner Selbsterhaltungstrieb, dass er sich von den beiden fernhielt. Inständig hoffte er, dass der körperliche Abstand ihn vor noch größerem Kummer schützen würde. Doch das dumpfe Pochen in seiner Brust zeigte ihm, dass es nicht klappte. Trotzdem blieb er allein in seinem Arbeitszimmer, während der Abend sich endlos in die Länge zog, und versuchte sich einzureden, dass er nicht innerlich vor Schmerz verging.
9. KAPITEL
Die nächsten Tage war Daniel immer noch quengelig und schlief nachts nicht ruhig durch. Doch Reese machte sich nicht mehr ganz so viele Sorgen. Ihr Sohn bekam seinen ersten Zahn. Das Zähnchen war noch nicht ganz heraus. Doch nach dem geröteten Zahnfleisch unten zu urteilen, war auch der zweite schon auf dem Weg.
„Ich wäre auch schlecht gelaunt“, sagte sie und hielt Daniel einen kalten Waschlappen vor den Mund, damit er darauf kauen konnte.
Diesen Trick hatte die Mutter ihr in einem ihrer täglichen Telefongespräche verraten. Wie Louise hatte auch sie die Besorgnis ihrer Tochter, der Kleine würde keine Beziehung zu ihr aufbauen, als Unsinn bezeichnet. Die Meinung der eigenen Mutter hatte ein erheblich größeres Gewicht für Reese.
„Tut mir leid, dass ich deine schlechte Laune persönlich genommen habe“, sagte sie jetzt zu ihrem Sohn. „Ich fürchte, ich bin immer noch ein bisschen unsicher in meiner Mutterrolle. Ist alles in Ordnung, Spatz? Bist du glücklich bei mir?“
Daniel wedelte fröhlich mit den Armen, quiekte vergnügt und biss in den Waschlappen. Langsam kehrte Reeses Welt in geordnete Bahnen zurück. Das verstärkte sich noch, als Duncan kurz nach Mittag anrief.
„Hi, das ist ja eine Überraschung“, sagte sie.
„Ich habe in letzter Zeit viel an dich gedacht.“ Seine Stimme verriet, dass er sich nicht ganz wohlfühlte bei dieser Erklärung.
Reese räusperte sich verlegen. „Ich habe auch an dich gedacht“, gab sie zu.
Lange schwiegen beide. Reese hörte Duncans Atem, und sie nahm an, dass er ihren ebenfalls hören konnte.
„Wir haben einen ziemlichen Schlamassel angerichtet“, sagte er endlich.
Sie presste die Lippen fest zusammen. „Hm.“
„Was sollen wir dagegen unternehmen?“
Ihr Herz stockte einen Moment. „W-was meinst du damit?“
„Ich glaube kaum, dass wir die nächsten Monate so weitermachen können. Ich kann es gewiss nicht.“
Panik erfasste Reese. „Du hast gesagt, dass du es für mich tun würdest. Du hast es versprochen!“
„Reese …“
„Du weißt, was passiert, wenn du ausziehst, bevor die Adoption endgültig ist“, unterbrach sie ihn. „Sobald die Leute in der Agentur Wind von unserer Trennung bekommen, werden sie mir Daniel wegnehmen. Oh Duncan, ich kann ihn nicht wieder hergeben. Er ist mein Sohn! Begreifst du das nicht?“
Unheilvolle Stille folgte ihrer leidenschaftlichen Erklärung. Endlich murmelte Duncan: „Ich habe nicht gesagt, dass ich ausziehen will.“
„Was willst du dann?“, stieß Reese mühsam hervor. Ihre Stimme krächzte, und ihre Hände zitterten immer noch.
„Keine Ahnung.“ Er seufzte schwer. „Wir müssen gemeinsam eine Lösung finden.“
Gemeinsam. Das war eine verheißungsvolle Wortwahl, oder?
„Ich habe jetzt keine Zeit, um näher darauf einzugehen“, fuhr Duncan fort. „Außerdem sollten wir das lieber persönlich besprechen und nicht am Telefon.“
Damit hatte er natürlich recht. „Einverstanden.“
„Ich werde zur üblichen Zeit nach Hause kommen.“
„Vielleicht können wir gemeinsam zu Abend essen“, schlug sie vor.
„Das würde mir gefallen, Reese.“
„Mir auch“, flüsterte sie kaum hörbar.
„Was hast du gesagt?“
„Ich sagte, mir würde es auch gefallen.“
„Ja?“
Duncan klang so überrascht – hoffnungsvoll? –, dass sie unwillkürlich lächelte. Gleichzeitig füllten ihre Augen sich aus irgendeinem Grund mit Tränen. „Ja.“
„Du klingst, als hättest du eine weitere unruhige Nacht hinter dir“, wechselte er das Thema.
„Daniel war häufig wach.“
„Wie geht es dem – hm – großen Jungen?“
Reese ging das Herz auf bei dieser Bezeichnung, und ihre Besorgnis legte sich ein wenig. „Meinst du den kleinen Spatz?“
Duncan lachte leise. „Nenn ihn bloß nicht so. Sonst flößt du dem Kind noch
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