Julia Extra Band 0301
richtig, großmütig nachzugeben. Sie hatte ihn offensichtlich gekränkt, aber er hatte wirklich nicht gründlich genug überlegt. Sie hatte ja nicht mal eine Wohnung, wenn sie in die Stadt zurückkehrte, geschweige denn eine Garage!
„Na schön, das tue ich gern“, sagte Mary freundlich. „Danke, Tyler. Aber ich lasse ihn dir hier, wenn ich ausziehe. Wer weiß, vielleicht triffst du ja bald schon deine Traumfrau und hast dann gleich ein Geschenk für sie“, versuchte sie ihn mit einem Scherz aufzuheitern.
„Meine Zukünftige wird wohl kaum auf einen Gebrauchtwagen Wert legen“, erwiderte er eisig. „So, und jetzt habe ich noch zu tun.“
In seinem Arbeitszimmer gestand Tyler sich ein, dass er maßlos enttäuscht war. Warum hatte Mary sich nicht gefreut? Und ihre Freude mit ein, zwei Küssen ausgedrückt? Warum war sie nicht umgänglich, schlank und elegant? Warum war sie nicht die Ehefrau, die er wollte? Eine Frau, so schön und mit so viel Stil, dass jeder Mann ihn beneidete. Wer würde ihn schon um eine rundliche, unordentliche Alleinerziehende beneiden?
Trotzdem: Immer, wenn er sich seine makellose Zukünftige auszumalen versuchte, verwandelte sich ihr perfekt zurechtgemachtes Gesicht in eins mit großen grauen Augen und schiefen Brauen, aus gestyltem blondem Haar wurden wirre braune Locken, und die schlanke Figur eines heutigen Models rundete sich in seiner Vorstellung zu den weichen, verführerischen Kurven einer barocken Venus. Kurz gesagt, statt seiner Traumfrau sah er Mary vor dem inneren Auge!
Und Mary hörte nicht auf, immer wieder zu betonen, dass sie nur noch wenige Tage bleiben würde. Als könnte sie es kaum erwarten, ihn zu verlassen.
Beim Abendessen herrschte gespannte Stimmung, obwohl Mary versuchte, sich so gesprächig und normal wie möglich zu geben. Am liebsten hätte sie Tyler umarmt und so lange geküsst, bis er keine schlechte Laune mehr hatte. Aber das wäre nicht vernünftig gewesen, und sie wollte doch vernünftig bleiben.
„Ich habe dir noch gar nicht erzählt“, begann sie, als sie sich gesetzt hatten, „dass ich heute einen Brief von Alans Anwalt bekommen habe. Sie sind jetzt endlich bereit, eine Schätzung meines Anteils vornehmen zu lassen.“
„Gute Nachrichten!“ Tyler kannte sie freilich schon, denn er hatte sie von seinen Anwälten gehört. Er hatte ihnen aufgetragen, Alan ein bisschen Dampf zu machen, und es schien gewirkt zu haben.
Mary lächelte strahlend. „Ja, herrlich. Jetzt kann ich mir endlich eine eigene Bleibe suchen. Wahrscheinlich miete ich zuerst eine Wohnung und suche in Ruhe ein kleines Haus, das ich kaufen kann. Am besten sehe ich gleich morgen bei einigen Immobilienmaklern vorbei.“ Nochmals produzierte sie ein strahlendes Lächeln. „Dann hast du deinen Herrensitz vielleicht schon früher als geplant wieder ganz für dich.“
Das wird mich lehren, helfen zu wollen, dachte Tyler ironisch. Er hatte sich an seine Anwälte gewandt, weil es ihn rasend machte, wie Mary von Alan ausgenutzt wurde. Dem sollte gezeigt werden, dass sie einen einflussreichen Freund besaß, der sich für sie ins Zeug legte. Dass er ihr damit half, ihn noch früher zu verlassen, hatte er nicht bedacht!
„Wieder allein sein wäre großartig“, behauptete Tyler schließlich, und da es nicht überzeugend klang, wiederholte er es. „Einfach großartig!“
Trotz der gegenseitigen Versicherung, wie vorteilhaft es wäre, wenn Mary möglichst bald auszog, waren alle drei Bewohner von Haysby Hall in den folgenden Tagen nicht wirklich glücklich, sondern angespannt und gereizt.
Trotzdem leuchtete Beas kleines Gesicht auf, als Tyler am Freitagabend in die Küche kam. Er lächelte sie nur flüchtig an und strich ihr kurz über den Kopf, dann warf er eine Karte mit Goldrand und geprägter Schrift auf den Tisch.
„Was ist denn das?“, erkundigte Mary sich von der Spüle her.
„Eine Einladung zum Empfang in der Merchant Adventurers’ Hall nächsten Mittwoch.“ Er zog das Jackett aus und hängte es über eine Lehne. „Ich muss da hin, und es sieht besser aus, wenn ich nicht allein erscheine. Du kommst also besser mit. Dann kann ich gleich üben, wie man seine Begleiterin bei offiziellen Anlässen behandelt. Und wer weiß? Vielleicht finde ich eine passende Heiratskandidatin, und du kannst mir Tipps geben, wie ich sie beeindrucke.“
„Möchtest du das vielleicht noch einmal versuchen?“, fragte Mary täuschend sanft. „Oder sollen wir es Schritt für Schritt
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